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Unbekannte Menschenaffenart von Tübinger Forschern entdeckt

Der »Buronius manfredschmidi« teilte sich den Lebensraum mit einer anderen Menschenaffenart im Ostallgäu. Das ist in Europa für Menschenaffen bislang noch nicht nachgewiesen worden.

Die Tübinger Forscherin Madelaine Böhme präsentiert mit 3D-Drucken gefertigte Backenzähne der Allgäuer Menschenaffen Buronius und Danuvius. Foto: Berthold Steinhilber/Universität Tübingen
Die Tübinger Forscherin Madelaine Böhme präsentiert mit 3D-Drucken gefertigte Backenzähne der Allgäuer Menschenaffen Buronius und Danuvius.
Foto: Berthold Steinhilber/Universität Tübingen

TÜBINGEN/TORONTO. Ein internationales Forschungsteam der Universitäten Tübingen und Toronto (Kanada) hat in der Tongrube Hammerschmiede im Ostallgäu eine weitere bisher unbekannte Menschenaffenart entdeckt. Buronius manfredschmidi wurde in unmittelbarer Nähe zu dem Menschenaffen Danuvius guggenmosi, genannt »Udo«, geborgen. Dieser zeigte als erster Menschenaffe bereits vor rund 12 Millionen Jahren Anpassungen an den aufrechten Gang und hatte die Grabungsstätte zwischen Pforzen und Kaufbeuren im Jahr 2019 weltbekannt gemacht.

Sein neu entdeckter Zeitgenosse Buronius war kleiner als Udo, lebte vermutlich auf Bäumen und ernährte sich vegetarisch. Der Fund zeigt, dass die Diversität und Ökologie europäischer Menschenaffen in vergangenen Jahrmillionen höher und komplexer waren als bisher bekannt.

Forscherteam aus Tübingen und Toronto

An der Studie, die am Freitag im Fachmagazin PlosOne erschien, waren Professorin Madelaine Böhme und ihr Team vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen sowie Professor David Begun und weitere Wissenschaftler der Universität Toronto beteiligt.

Entdeckt wurden die Fossilien von Buronius – zwei Zähne und eine Kniescheibe – bereits vor einigen Jahren nahe den Funden von Danuvius in einem 11,6 Millionen Jahre alten Bachsediment. »Die Ablagerungsbedingungen lassen den Schluss zu, dass beide Menschenaffen zur gleichen Zeit dasselbe Ökosystem besiedelten«, sagt Thomas Lechner, Grabungsleiter in der Hammerschmiede.

Der Originalzahn von Buronius ist nur 7,7 Millimeter groß und gibt dennoch tiefe Einblicke in seine Lebensweise vor rund 12 Millionen Jahren. Foto: Berthold Steinhilber/Universität Tübingen
Der Originalzahn von Buronius ist nur 7,7 Millimeter groß und gibt dennoch tiefe Einblicke in seine Lebensweise vor rund 12 Millionen Jahren.
Foto: Berthold Steinhilber/Universität Tübingen

Die Größe der Fossilien zeige zudem, dass Buronius nur etwa 10 Kilogramm schwer war. Er war damit deutlich kleiner als alle lebenden Menschenaffen, die zwischen 30 Kilo (Bonobo) und über 200 Kilo (Gorilla) erreichen, und auch kleiner als Danuvius, der 15 bis 46 Kilogramm wog. Das Körpergewicht von Buronius ist am ehesten vergleichbar mit den Siamangs, Verwandten der Gibbons aus Südostasien.

»Die Kniescheibe von Buronius ist dicker und asymmetrischer als bei Danuvius«, ergänzt Böhme. Dies könne mit Unterschieden in der Oberschenkelmuskulatur erklärt werden. Möglicherweise war Buronius besser an das Klettern in Bäumen angepasst.

 Buronius war Blattfresser und Danuvius Allesfresser

Die Untersuchung des Zahnschmelzes beider Menschenaffen aus der Hammerschmiede eröffnet Einblicke in ihre Lebensweise: Bei Primaten ist die Dicke des Zahnschmelzes eng mit ihrer Ernährung verknüpft. Sehr dünner Zahnschmelz, wie ihn zum Beispiel Gorillas besitzen, weist auf eine faserreiche vegetarische Ernährung hin. Ein dicker Zahnschmelz, wie er bei Menschen vorkommt, ist Hinweis auf harte und zähe Nahrung und einen Allesfresser mit hohen Beißkräften.

»Die Schmelzdicke bei Buronius ist so gering wie bei keinem anderen Menschenaffen Europas und vergleichbar mit Gorillas. Der Zahnschmelz von Danuvius hingegen ist dicker als der aller verwandten ausgestorbenen Arten und erreicht fast die Stärke menschlichen Zahnschmelzes«, sagt Böhme. Die unterschiedliche Schmelzdicke korrespondiert wiederum mit der Form der Kauflächen. Der Schmelz ist bei Buronius glatter und mit stärkeren Scherkanten versehen; der von Danuvius ist gekerbt und hat stumpfe Zahnhöcker. »Dies zeigt, dass Buronius ein Blattfresser war und Danuvius ein Allesfresser.«

Geteilter Lebensraum

Leben zwei Arten im gleichen Lebensraum (genannt Syntopie), müssen sie auf unterschiedliche Ressourcen zurückgreifen, um Konkurrenz zu vermeiden. Der Fundkontext der Hammerschmiede-Fossilien belegt erstmals für Europa Syntopie bei Menschenaffen. Es sei wahrscheinlich, dass der kleine blattfressende Buronius sich länger in den Baumkronen und auf Ästen aufhielt, sagen die Autorinnen und Autoren. Der mehr als doppelt so große, zur Zweibeinigkeit befähigte Danuvius durchstreifte hingegen vermutlich ein größeres Gebiet, um vielfältigere Nahrungsressourcen zu finden. Dies sei mit der heutigen Syntopie von Gibbon und Orang-Utan auf Borneo und Sumatra vergleichbar: Während Orang-Utans auf Futtersuche umherstreifen, halten sich die kleinen fruchtfressenden Gibbons in Baumwipfeln auf. (eg)