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Tübinger Strafrechtler kritisiert Palmers Brief an Ministerium

Tübingens Oberbürgermeister Palmer fordert in einem Brief Informationen über einen Gambier, der zwei Polizeibeamte in Tübingen verletzte. Ein Strafrechtsexperte kritisiert das Schreiben.

Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Foto: Felix Kästle/DPA
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.
Foto: Felix Kästle/DPA

TÜBINGEN. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) sorgt wieder einmal für Trubel. Dies mal geht es um ein Schreiben an Innenminister Thomas Strobl und Justizministerin Marion Gentges (beide CDU). Anlass ist ein Vorfall in Tübingen vom 20. September, als ein 32-jähriger Gambier bei der Festnahme zwei Polizeibeamte verletzte, einen davon schwer. Der Beschuldigte ist auf freiem Fuß, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

In dem Brief forderte Palmer mehr Informationen über den Fall. »Der Stadtverwaltung Tübingen und mir als Oberbürgermeister liegen bis heute keinerlei Auskünfte zu dem Fall vor. Die zuständigen Stellen verweigern diese unter Hinweis auf den Datenschutz, also den Schutz der Daten des Täters«, schreibt Palmer. Aus Sicht von Strafrechtswissenschaftler Jörg Kinzig zeugt der Inhalt des Briefes von mangelnden Rechtskenntnissen.

Palmer beruft sich darin auf die Strafprozessordnung und fragt, warum der Beschuldigte noch auf freiem Fuß sei. Ein dringend Tatverdächtiger könne inhaftiert werden, wenn das Leben eines anderen durch die Tat gefährdet worden sei, meint Palmer. »Die bloße Gefährdung ist noch kein Haftgrund«, sagte Kinzig, der Direktor des Instituts für Kriminologie und Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Straf- und Sanktionenrecht in Tübingen ist. Seiner Ansicht nach bestünde zudem die Gefahr, dass eine Gruppe von Ausländern - in diesem Fall Gambier - unter Generalverdacht gestellt würden.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Tübingen sprechen die Ermittlungen nicht dafür, dass der Beschuldigte die Folgen der Tat beabsichtigte. Kinzig merkte an, dass Palmers Brief in einer Phase komme, in der das Ermittlungsverfahren erst am Anfang sei. Die Anklagebehörde ermittelt gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts des Widerstands, des tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall und wegen gefährlicher Körperverletzung. Laut dem Innenministerium ist bisher kein Brief Palmers eingegangen.

Am Rande des Bodensee Business Forums in Friedrichshafen sagte Palmer der Deutschen Presse-Agentur: »Konkret ist es so, dass ich als Oberbürgermeister auch Leiter der Ortspolizeibehörde bin und von Staatsanwaltschaft und Polizei keinerlei Informationen darüber bekommen habe, was das für die Sicherheit der Menschen in der Stadt bedeutet.« Er müsse die Lage verstehen, um handeln zu können, sagte Palmer. Die Behörden beriefen sich auf den Datenschutz. Deswegen habe er sich an die zuständigen Minister gewandt.

»Man darf Migration nicht mit Gewalt gleichsetzen, aber Tatsache ist auch, dass viele Menschen, junge Männer, die zu uns kommen, aus Kriegsgebieten oder Gebieten mit alltäglicher Gewalt kommen. Dass die entwurzelt sind, traumatisiert und dass es deswegen gar nicht überraschen kann, dass von ihnen ein höheres Risiko ausgeht«, sagte Palmer. Die Menschen in Tübingen würden nicht verstehen, wieso der Mann auf freiem Fuß sei. »Und ich verstehe es auch nicht.«

Seit Jahren eckt Palmer mit Aussagen an. Im September 2018 hatte er behauptet, es gebe eine Häufung von Schwarzfahrern unter Flüchtlingen, und legte bei Facebook nach: »Es gibt ein Problem und es ist nicht harmlos.« Er reagierte damit auf Informationen der Bahn, wonach es keine Häufung gebe.

Im April 2018 regte Palmer sich über einen wohl ruppigen Radfahrer mit dunkler Hautfarbe auf: »Das gehört sich für niemanden und für einen Asylbewerber schon dreimal nicht.« Das nannte er später einen Fehler. Es tue ihm leid, »dass ausgerechnet die Menschen, die ich damit schützen will - nämlich Migranten mit schwarzer Hautfarbe - sich angegriffen und pauschal stigmatisiert fühlen«. (dpa)