TÜBINGEN. Es war eine Frage der Solidarität mit den Menschen im Umland, denen eine bessere Anbindung an die Tübinger Innenstadt in Aussicht gestellt worden war. Es war eine Frage, wie im Verkehrsbereich der Klimawandel am besten bekämpft werden kann. Die von Experten und sämtlichen politischen Gremien des Kreises favorisierte Lösung, eine Regionalstadtbahn bis hinauf in den Technologiepark Tübingens zu führen, ist nun krachend gescheitert. 57,39 Prozent der Tübinger sind dagegen, dass eine Tram auf einer der Hauptachsen der Universitätsstadt geführt wird. 42,61 Prozent hatten sich dafür ausgesprochen. Die Wahlbeteiligung in der Stadt betrug 78,41 Prozent.
An der Entscheidung hatten sich nicht alle beteiligt, die ihre Stimme bei der Bundestagswahl abgegeben haben. Dort gab es eine Wahlbeteiligung von 85,8 Prozent, bei der Regionalstadtbahn waren es mehr als sieben Prozentpunkte weniger. Bis zuletzt hatten beide Seiten alle Register gezogen. Oberbürgermeister Boris Palmer war in der Stadt unterwegs, um Überzeugungsarbeit zu leisten für die Innenstadtstrecke. Mit ihr, so die Prognosen der Experten, wären täglich 9 000 Autofahrten eingespart worden. 33 000 Menschen hätten täglich die Stadtbahn in Tübingen genutzt.
Ohne die Innenstadtstrecke, so hatte Palmer erklärt, lassen sich die Klimaziele Tübingens, das im Jahr 2030 klimaneutral sein will, schwerer erreichen. »Der Weg zu einer klimaneutralen Stadt ist mit der heutigen Entscheidung länger und steiniger geworden«, so Palmer gestern Abend in einer Stellungnahme zum Ergebnis des Bürgerentscheids. Um zu retten, was dann doch nicht mehr zu retten war, hatte Professor Tobias Bernecker, Geschäftsführer des Zweckverbands Regionalstadtbahn Neckar-Alb, wenige Tage vor dem Bürgerentscheid die Möglichkeit ins Spiel gebracht, in der Mühlstraße die Regionalstadtbahn nur einspurig zu führen, wobei neue Elektronik trotzdem den Bahnverkehr in beide Richtungen ermöglichen sollte. Palmer selbst hatte auch noch über Tunnellösungen spekuliert.
Ungeklärte Fragen
Den beim Bürgerentscheid Siegreichen ist es zwar gelungen, die Nachteile der Regionalstadtbahn in Tübingen wie jahrelange Baustellen viel stärker herauszustellen und ihre Vorteile kleinzureden. Ein zukunftsweisendes Alternativkonzept konnten sie aber nicht vorlegen, das vor allem auch den mit Sicherheit wachsenden Einpendlerverkehr in den Griff bekommt. Prognostizierte Arbeitsplatzzuwächse von ein paar Tausend im Laufe der nächsten Jahre allein im Technologiepark werden den Tübingern absehbar mehr dicke Luft in ihrer Stadt bescheren, wenn am Status quo festgehalten wird.
Schon vor dem Entscheid hat der Zweckverband Regionalstadtbahn für den heutigen Montag zu einer Pressekonferenz eingeladen, wo wohl erklärt wird, wie das Projekt Regionalstadtbahn, hinter dem eine deutliche Mehrheit der Menschen aus dem Umland steht, trotzdem zum Erfolg werden kann. Die negative Entscheidung der Tübinger hat erst mal eine Gültigkeit von drei Jahren. Vorher wäre vermutlich auch nicht gebaut worden. Zeit genug also, noch mal alles zu überdenken. (GEA)