TÜBINGEN. »Es gibt nicht den einen Long Covid Patienten.« Das betont der Tübinger Mediziner Christian Förster immer wieder. Das ist einer der wenigen unstrittigen Fakten, die in der Medizin aktuell zu Long Covid bekannt sind. Über dem Rest schwebt ein großes Fragezeichen.
Es gibt zwar mittlerweile einige Studien, aus denen Förster, Facharzt für Innere Medizin, zitieren kann. In manchen wird bei im Krankenhaus behandelten Corona-Fällen eine Long-Covid-Quote von 60 Prozent genannt, andere sprechen von bis zu 80 Prozent. Bei den milden Verläufen (also solchen, die daheim auskuriert wurden) nennen die einen Studien eine Long-Covid-Betroffenheit von 10 Prozent, andere sprechen von 40 Prozent, nochmal eine Studie kommt auf rund 2 Prozent.
Das hält Förster allerdings für zu niedrig. »Unsere Daten zeigen bislang, dass es mehr als 10 Prozent aller Corona-Fälle betrifft.« Auch die Allgemeinmedizin der Uniklinik Tübingen hat nämlich zwei Studien zu Long Covid am Laufen. Die eine beschäftigt sich mit harten Fakten wie Alter, Geschlecht und Symptomen. Förster rechnet mit einer Veröffentlichung der Ergebnisse im Sommer. An der anderen Studie kann man über die Homepage der Uniklinik teilnehmen. Sie beschäftigt sich mit erfolgreichen Therapiemethoden.
»Wir haben mittlerweile Hinweise darauf, dass Frauen eher von Long Covid betroffen sind als Männer«, sagt Mediziner Förster. Außerdem zeichne sich immer mehr ab: Je schwerer die Corona-Erkrankung verläuft, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, langfristige Beschwerden zu bekommen. Doch was passiert genau im Körper von Long Covid Patienten? Hinter dieser Frage stehen ebenfalls noch viele Fragezeichen. Manche Mediziner gehen von einer aus dem Ruder gelaufenen Antwort des Immunsystems auf die Corona-Erkrankung aus.
Eine mögliche These ist auch, dass es sich um ein persistierendes - also fortbestehendes - Virus handelt, wie beispielsweise den Gürtelrose-Erreger. Das bedeutet: Teile des Virus verbleiben im Körper, das Immunsystem kämpft weiter dagegen an. Andere Mediziner sprechen von einer Autoimmunreaktion, wieder andere sehen die Ursache für Long-Covid-Beschwerden in Organschäden, die durch die Erkrankung ausgelöst wurden.
Förster weist darauf hin, dass am Institut für Allgemeinmedizin zwar zu Long Covid geforscht wird: »Wir können aber keine Behandlung vornehmen.« Er rät Betroffenen, immer zuerst den Hausarzt aufzusuchen. Dieser könne andere Erkrankungen ausschließen, manche Symptome vielleicht selbst behandeln, oder gegebenenfalls zum Facharzt überweisen. Was er auch sagen kann: »Eine Impfung schützt gut vor einer akuten Infektion. Und damit minimiert sie auch das Risiko, schweres Long Covid zu bekommen.« Da über die Ursachen der Krankheit noch nicht viel bekannt ist, weiß man zu möglichen Behandlungen noch viel weniger. »Training kann sicher helfen, wieder fit zu werden«, nennt Förster einen Baustein. »Aber man muss auf jeden Fall leistungsangepasst starten. Dann ist das ein guter Weg.« (GEA)