TÜBINGEN. Arzneimittelfälscher nutzen die Corona-Pandemie, um in Afrika mit wirkungslosen oder sogar schädlichen Tabletten Geschäfte zu machen: In Kamerun und im Kongo sind zuletzt fünf verschiedene Arten gefälschter Chloroquin-Tabletten aufgetaucht, die viel zu wenig Wirkstoff enthielten, oder gar völlig andere. Nachgewiesen wurden die Fälschungen von der Arbeitsgruppe von Professor Lutz Heide, Pharmazeutisches Institut der Uni Tübingen, in Kooperation mit afrikanischen Pharmazeuten und dem Difäm.
Vor wenigen Wochen wurde weltweit vermeldet, der Arzneistoff Chloroquin helfe möglicherweise gegen die Krankheit Covid-19. Chloroquin wird seit Jahrzehnten gegen Malariaparasiten eingesetzt – dass es Patienten mit Viruskrankheiten hilft, konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Experten warnen daher vor einer Anwendung bei Covid-19-Patienten, auch wegen möglicher ernsthafter Nebenwirkungen. Infolge der intensiven Berichterstattung über die mögliche Wirksamkeit bei Corona-Infektionen stieg die weltweite Nachfrage nach Chloroquin sprunghaft an. »Damit gingen auch die Preise nach oben und riefen Arzneimittelfälscher auf den Plan«, sagt Lutz Heide.
Bereits Ende März hatten kirchliche Arzneimittel-Versorgungsstellen in Kamerun und im Kongo, die mit dem Difäm aus Tübingen und dem Ecumenical Pharmaceutical Network (EPN) aus Kenia zusammenarbeiten, über gefälschte Chloroquin-Tabletten berichtet. Diese waren nicht nur bei illegalen Händlern, sondern auch in lizenzierten Apotheken entdeckt worden und hatten sich bei der Untersuchung mit einem mobilen Labor als Fälschungen herausgestellt.
»Dies ist eine der gefährlichsten Formen der Arzneimittelfälschung«
Es gelang, Proben an die Uni Tübingen zu schicken, wo sie von den Pharmazie-Doktorandinnen Gesa Gnegel und Cathrin Hauk untersucht wurden. Die Analysen zeigten, dass eines der Präparate weniger als ein Viertel der behaupteten Wirkstoffmenge enthielt – zu wenig, um Patienten zu heilen, aber geeignet, um die Entwicklung von Chloroquin-resistenten Malariaerregern zu begünstigen.
In einer zweiten Fälschung fanden die Tübinger Pharmazeutinnen anstelle von Chloroquin das Schmerzmittel Paracetamol. In drei weiteren Präparaten entdeckten sie eine unbekannte Substanz, die von der Chemikerin Dr. Dorothee Wistuba als das Antibiotikum Metronidazol identifiziert werden konnte. Im Vergleich zu üblichen Metronidazol-Tabletten hätten die Fälschungen viel zu geringe Mengen des Antibiotikums enthalten, könnten somit wiederum die Entstehung von Antibiotika-resistenten Krankheitskeimen begünstigen. »Die gefälschten Tabletten enthalten also wenig oder gar kein Chloroquin, aber dafür andere Wirkstoffe mit jeweils eigenen Risiken und Nebenwirkungen, von denen weder Arzt noch Patient wissen. Dies ist eine der gefährlichsten Formen der Arzneimittelfälschung.«
Das Tübinger Forschungsteam und ihre afrikanischen Kollegen informierten die Weltgesundheitsorganisation, die daraufhin eine internationale Warnmeldung mit Fotos der gefälschten Arzneimittel veröffentlichte. Sie gehen davon aus, dass diese Fälschungen nur Vorbote weiterer Probleme sind. »Jeder potenzielle Wirkstoff oder Impfstoff, für den eine Wirksamkeit gegen Covid-19 berichtet wird, kann eine verzweifelt hohe Nachfrage auslösen.« In allen Ländern, besonders in den ärmsten, werde dies Arzneimittelfälscher auf den Plan rufen, deren Produkte Leben und Gesundheit von Millionen Menschen gefährdeten.
Das Problem werde sich nicht auf Arzneimittel gegen Covid-19 beschränken, so das Forschungsteam. Der Lockdown in China und Indien habe internationale Arzneimittel-Lieferketten zerstört und vor allem Entwicklungsländer stünden vor Engpässen in der Versorgung. Das massenhafte Auftreten gefälschter Medikamente werde eine Folge sein. (em)