TÜBINGEN. Oberstufenreformen können die Vergleichbarkeit von Noten vor und nach der Reform erschweren. Dies zeigen Wissenschaftler der Uni Tübingen, der Pädagogischen Hochschule St. Gallen und vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt in einer Studie. Sie verglichen die Mathematik- und Englischnoten von Schülern mit den Leistungen, die anhand standardisierter Tests ermittelt wurden – vor und nach Oberstufenreformen in Baden-Württemberg und Thüringen.
Die Ergebnisse zeigen: Ändert sich im Zuge einer Reform die leistungsbezogene Zusammensetzung von Kursen, beispielsweise durch die Einführung oder Abschaffung von obligatorischen Kernfächern, erhalten Schüler trotz gleicher Leistungen andere Noten als in den Kursen vor der Reform. Die Ergebnisse sind im Journal of Educational Psychology erschienen.
Oberstufenschüler können in diesem Schuljahr in den meisten Bundesländern wieder zwischen Grund- und Leistungskursen wählen. Müssen nur zwei Leistungskurse belegt werden, werden diese mindestens fünf Stunden pro Woche unterrichtet, stehen mehr als zwei Leistungskurse zur Auswahl, müssen sie mindestens vierstündig unterrichtet werden. Damit setzen die Länder einen Beschluss der Kultusministerkonferenz um, um die Abiturnoten in Deutschland vergleichbarer zu machen.
Für die Studie wurden die Oberstufennoten sowie die Leistungen in standardisierten Tests in Mathematik und Englisch von insgesamt rund 7 800 Schülern vor und nach den Oberstufenreformen in Baden-Württemberg (2002) und in Thüringen (2010) herangezogen.
Erwartungsgemäß schnitten Schüler mit besseren Noten auch in den Leistungstests besser ab. Allerdings zeigten sich bei Schülern, die in einem Kurs die gleichen Noten erhalten hatten, erstaunliche Leistungsunterschiede, je nachdem ob sie – wie vor der Reform – ein Fach als Grund- oder Leistungskurs oder – wie nach der Reform – ein Fach als Kernfach belegt hatten. So erreichten Schüler aus dem Grundkurs vor der Oberstufenreform weniger Punkte im Leistungstest als diejenigen im Kernfach nach der Reform.
Wichtig bei Bewerbungen
Analog dazu waren Schüler, die vor der Reform den Leistungskurs besucht hatten, im Leistungstest besser als diejenigen aus dem Kernfach. Die Leistungsunterschiede bei gleicher Note fanden sich in Baden-Württemberg für Mathematik und Englisch und ließen sich auch für Mathematik und teilweise für Englisch in Thüringen nachweisen.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Reformen, die die leistungsbezogene Zusammensetzung von Schülern in Kursen der Sekundarstufe II verändern, auch die von Lehrkräften vergebenen Noten verändern können. Das liegt besonders daran, dass Lehrkräfte häufig die Leistungen innerhalb einer Klasse oder eines Kurses miteinander vergleichen. Sind diese eher hoch, wie in einem Leistungskurs, erhalten durchschnittliche Schüler schwerer eine gute Note als in einem leistungsschwächeren Kurs. Deshalb ist es nicht nur schwierig, die Noten zwischen Bundesländern mit unterschiedlichen Oberstufen zu vergleichen, sondern auch die Noten innerhalb eines Bundeslandes, besonders vor und nach der Reform.
Das hat Folgen besonders bei der Vergabe von Studienplätzen oder bei Bewerbungen um Ausbildungsplatz oder Job. Denn hier werden einzelne Fachnoten, beispielsweise in Mathematik, oft als zentrales Kriterium zur Beurteilung des Leistungspotenzials herangezogen. (GEA)