TÜBINGEN. Wieder ein linksmotivierter Anschlag in Tübingen. Ende Dezember hat es eine christliche Freikirche erwischt, nun, knapp einen Monat später, das Autohaus Seeger. In der Nacht auf Montag wurde die Glasfront des Gebäudes im Industriegebiet Unterer Wert großflächig verschmiert. Videoaufnahmen zeigen einen Vermummten, der sich um 23.54 Uhr ans Werk macht. Auf der Plattform de.indymedia.org hat sich wenig später eine linksautonome Gruppe zu dem Anschlag bekannt.
Wir haben »der Glasfront der Mercedes-Niederlassung in Tübingen einen neuen Anstrich mit Bitumen verpasst«, heißt es in dem Beitrag. Grund für die Attacke sei, dass Daimler Fahrzeuge herstelle, die aktuell in Erdogans Krieg gegen die Kurden eingesetzt würden. Damit unterstütze Daimler »den Angriffskrieg des NATO-Partners Türkei gegen das fortschrittlichste Gesellschaftsprojekt in Nord-Ost-Syrien«.
Und weiter: »Die Aktion richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Menschen, die bei der Tübinger Niederlassung arbeiten, sondern gegen die Beteiligung des Daimler-Konzerns am Krieg gegen Rojava.« Rojava ist ein autonomes Gebiet in Syrien, das aus den drei Kantonen Afrin, Kobani und Jazira besteht. Am 20.1.2020 hat sich der Angriff der türkischen Armee auf Afrin zum zweiten Mal gejährt. Deshalb habe man diese Nacht für den jüngsten Angriff gewählt.
Martin Häcker, Geschäftsführer des Autohauses, ist fassungslos, viele der 70 Mitarbeiter auch. Keiner versteht, warum man zum Ziel wurde. »Wir sind ein mittelständisches Unternehmen, tun was für die Umwelt und haben ein hohes soziales Engagement«, sagt Häcker. In drei Jahren wolle die Firma klimaneutral werden. Außerdem unterstütze man den Kinderschutzbund Tübingen, die Arche und ein Projekt im Kongo, das junge Männer zu Kfz-Mechanikern ausbildet. »Die haben die Falschen getroffen«, sagt Häcker.
Denn das Autohaus Seeger ist, anders als im Bekennerschreiben behauptet, keine Mercedes-Niederlassung. Der Tübinger Betrieb gehört nicht zum Daimler-Konzern, sondern hat lediglich einen Service-Vertrag mit dem Autobauer. Doch dieser Unterschied scheint die Täter und ihre Sympathisanten nicht zu interessieren. »Wer die Produktion von Kriegsgerät unterstützt, ist ein legitimes Ziel«, heißt es in einem Kommentar auf indymedia. Ein anderer schreibt: »Euch kostet das bisschen sauber machen lassen wahrscheinlich quasi nichts, daran gemessen, was ihr im Jahr umsetzt. Also bleibt mal locker.«
Lockerheit ist bei Martin Häcker aktuell allerdings überhaupt nicht angesagt. Zum einen, weil ihn die Attacke mächtig ärgert, zum anderen, weil er sich jetzt um die Säuberungen des Gebäudes kümmern muss. Und das ist gar nicht so einfach. Die zähe Flüssigkeit, mit der die Fassade beschmiert wurde, wird vor allem im Straßenbau und für Abdichtungsarbeiten eingesetzt. »Vom Glas geht das relativ gut weg, die Rahmen sind aber aus Aluminium, da frisst sich der Teer rein«, erklärt Häcker. Mindestens 10.000 Euro wird die Entfernung der Schmiererei kosten. Müsste man die ganze Fassade erneuern, wären sogar 30.000 Euro fällig. Geld von der Versicherung gibt es keins, »Vandalismus ist nicht abgedeckt«, so Häcker.
Ob die beiden Anschläge in Tübingen in irgendeinem Zusammenhang stehen, ist derzeit noch nicht bekannt. "Die Ermittlungen laufen noch, sagte Polizei-Pressesprecher Christian Wörner. (GEA)