TÜBINGEN. Mit Pfeifen, Glocken und Trommeln versuchten gestern Abend fast 300 »Spaziergänger«, eine Kundgebung für gesellschaftlichen Zusammenhalt und gegen Querdenken auf dem Tübinger Marktplatz zu stören. Die Polizei brachte die Gegner der Coronamaßnahmen aber schließlich in Bewegung und gab den etwa 350 Befürwortern die Gelegenheit, ihren Standpunkt zu erläutern.
Auf Initiative des SPD-Stadtverbands hat sich ein breites Bündnis aus über 20 Gruppen, darunter Parteien, Vereine, Institutionen, Kirchen und Gewerkschaften vor dem Rathaus formiert. Hintergrund sind die seit Wochen in Tübingen stattfindenden »Spaziergänge« – in Anlehnung an die ökopolitischen Spaziergänge in der DDR: ein Mittel, um in der Diktatur demonstrieren zu können.
Den Organisatoren der Gegendemonstration geht es darum, ein Zeichen gegen Corona-Verharmlosung und Wissenschaftsfeindlichkeit zu setzen. »Wir wollten die Spaziergänge nicht unbeantwortet lassen«, erklärte Nathalie Denoix vom SPD-Stadtverband, der die Kundgebung initiiert hat und sich für einen Diskurs ohne Bedrohung und für gegenseitigen Respekt einsetzt.
»Man kann unterschiedlicher Meinung sein«, betonte Denoix, »aber wir haben eine gemeinsame Grundlage, und die ist das Grundgesetz, das die Demokratie und die Menschenwürde schützt« – und damit auch das Recht zu demonstrieren. Weil das zu DDR-Zeiten verboten war, hatte man dort die Spaziergänge ins Leben gerufen. Das sei aber hier nicht notwendig. In Tübingen sei kein Platz für Spaltung und Verschwörungstheorien.
Der Anästhesist und Notarzt Benjamin Breckwoldt, im Bezirksvorstand des Marburger Bunds Süd-Württemberg, empfahl allen »Spaziergängern« einen Besuch auf der Coronastation im Krankenhaus, um selbst zu sehen: Das Virus kann lebensgefährlich sein, und »es ist beschissen«. (GEA)