BERLIN/TÜBINGEN. Nach seinen umstrittenen Äußerungen zu älteren Corona-Patienten entzieht die Grünen-Spitze ihrem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer die Unterstützung. Die Partei werde Palmer bei einer erneuten Kandidatur in Tübingen und bei weiteren politischen Tätigkeiten nicht mehr unterstützen, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock am Montag in Berlin nach einer Videokonferenz des Parteivorstands. Weitere interne Sanktionen würden geprüft.
Zuvor hatte sich der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck deutlich vom Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer distanziert. Der Satz seines Parteikollegen sei falsch und herzlos gewesen, betonte Habeck am Sonntagabend in der ARD-Sendung »Anne Will«. »Er spricht damit weder für die Partei noch für mich.«
Zum Umgang mit hochbetagten Corona-Kranken hatte Palmer vor wenigen Tagen gesagt: »Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.« Angesichts breiter Empörung entschuldigte er sich später. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur bekräftigte er am Sonntag sein Bedauern, betonte allerdings auch, dass er sich falsch dargestellt fühle.
Habeck äußerte sich wenige Stunden später verärgert über Palmer. »Nachdem er heute nachgelegt hat, muss ich sagen, dass meine Geduld wirklich erschöpft ist.« Zu einem möglichen Parteiausschlussverfahren äußerte sich der Grünen-Chef ausweichend. Rund 100 Parteimitglieder hatten in einem offenen Brief Palmers Rauswurf gefordert. Habeck sagte lediglich, als Parteivorsitzender sei er Adressat des Schreibens und werde sich daher mit der Frage beschäftigen.
Palmer zeigte sich tags darauf überrascht über Habecks erschöpfte Geduld: »Mich wundert dieser Satz, denn was kann mir denn dieses Mal vorgeworfen werden?«, fragte er am Montag im Talkformat »Bild live«. Sein umstrittener Satz könne nicht widerlegt werden - »mit hoher Wahrscheinlichkeit ist er richtig«. (dpa/lsw)
»Anne Will« in der ARD-Mediathek