TÜBINGEN. Pappbecher, die im Neckar schwimmen, überquellende Mülleimer, leere Cocktailbecher auf den Treppen vor der Stiftskirche, halbvolle Nudelboxen und klebrige Pizzakartons – ein unschöner Nebeneffekt von lauen Sommernächten, der das Tübinger Stadtbild jahrelang geprägt hat. Das wollte man mit der Verpackungssteuer ändern. Ist das gelungen? Seit Januar 2022 gilt die Verpackungssteuer auf Essen und Trinken zum Mitnehmen. Hat durch sie der Müll im öffentlichen Raum abgenommen?
Ein Leser hat sich auf der GEA-Instagram-Seite beschwert: »Die Müllmenge wurde in Tübingen durch die Steuer nicht reduziert. Selbst die Stadtverwaltung spricht nur noch davon, dass durch die Steuer die Zahl der Mehrwegangebote vergrößert wurde, aber nicht mehr davon, dass die Müllmenge reduziert wurde.«
Was wie versteuert wird
Claudia Patzwahl ist die Projektleiterin der Tübinger Verpackungssteuer. Die Mitarbeiterin der Stadt erläutert im GEA-Gespräch die Fakten: Die Verpackungssteuer beträgt jeweils 0,50 Euro für Einwegverpackungen wie Kaffeebecher und Einweggeschirr wie Pommesschalen und 0,20 Euro für Besteck oder Trinkhalme. Becher und Behälter gibt es auch gegen Pfand. Warum fällt das belegte Brötchen nicht unter die Verpackungssteuer, jedoch das Leberkäsweckle? »Es geht darum, ob etwas wahrscheinlich gleich verzehrt wird. Darum gilt die Steuer für warme Speisen«, so Patzwahl. Auch Speiseeis wird besteuert. Viele Eisdielen haben nun auf Waffelbecher umgestellt. Wenn man sich eine Pizza liefern lässt, zahlt man zwar keine Verpackungssteuer, aber wenn man sie selber abholt.
Vonseiten des Bundes ist seit 2023 vorgeschrieben, dass Gastro-Betriebe in ganz Deutschland Mehrwegverpackungen anbieten müssen. Nur kleine Betriebe mit maximal fünf Mitarbeitern und maximal 80 Quadratmetern Ladenfläche sind ausgenommen.
Wie sieht die Steuer-Erhebung aus? Für die Umstellung auf Mehrweggefäße konnten die gastronomischen Betriebe von der Stadt Fördergelder bis Ende des vergangenen Jahres beantragen. Tübingen erwartet pro Jahr Steuereinnahmen in Höhe von etwa 800.000 Euro. Die Gelder fließen in den städtischen Haushalt. Sie werden für die Beseitigung des Mülls im öffentlichen Raum verwendet.
»Wie ein Detektivbüro«
Viele Betriebe würden, sagt Patzwahl, ihre Unterlagen samt Belege vollständig und geordnet einreichen. Es gebe aber auch Ausnahmen. »Manche kommen vorbei und laden ihre Ordner bei uns ab«, klagt Patzwahl. Sie und ihr Kollege müssten dann ran. Bei einer Plausibilitätsprüfung würden die Zahlen mit denen von vergleichbaren Betrieben verglichen. Darüber hinaus geht das Team auf Google-Suche. »Wir sind da wie ein Detektivbüro«, sagt Patzwahl. Schließlich posten ja viele ihr Essen in den Sozialen Medien. Da zeige sich, wer welche Verpackungen wirklich anbietet. »Hier geht es um die Steuergerechtigkeit«, betont die Verwaltungsmitarbeiterin.
»Die Verpackungssteuer ist ja vermeidbar. Man kann ja Mehrwegverpackungen nutzen«, so Patzwahl. Ohne Anreiz funktioniere das Umdenken nicht. Wie gut die »Lenkungswirkung« sei, hänge vor allem auch am Engagement der Gastro-Betriebe, die die Kunden über das Thema informieren. »Sie könnten ja theoretisch auch nur ein paar Schalen und Becher auftürmen.« »Größtenteils teilen die Betriebe unsere Auffassung«, sagt Patzwahl. Auch wenn es ab und zu verärgerte Kunden gibt. »Einem Gastronom wurde ein Pizza-Karton vor die Füße geschmissen.«
Wie viel Müll wird denn seit Einführung der Steuer nun eingespart? »Die konkrete Menge der Verpackungen wird nicht erfasst«, sagt Patzwahl. Im öffentlichen Müll landen unter anderem Hausmüll oder auch Altglas. »Die Müllmenge wird beim Bauhof nur komplett gewogen«, so Patzwahl. Die öffentliche städtische Müllmenge sei schwer im Vergleich zu anderen Kommunen einzuordnen. Manche Städte würden etwa den Abfall, der im Wald gefunden wird, dazuzählen, andere nicht.
Konkrete Müllmengen werden nicht erfasst
Leider gebe es, sagt Patzwahl, auch noch keine verlässlichen Daten, wie lange die Mehrwegbehälter im Umlauf sind und wie oft sie verwendet werden. Die unterschiedlichen Anbieter würden auch nicht dieselben Daten erfassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Stadt Tübingen zwar die Auswirkungen der Verpackungssteuer in Einnahmen quantifizieren kann, aber bisher noch nicht in konkreten Zahlen in Bezug auf Müllmengen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verpackungssteuer zwar für rechtmäßig erklärt, eine Tübinger McDonalds-Franchise-Unternehmerin lässt jedoch nicht locker und hat nun erneut Klage eingereicht. Patzwahl schätzt es als »nicht unwahrscheinlich« ein, dass der Fall noch in diesem Jahr vor dem Bundesverfassungsgericht landet. Sollte die Rechtmäßigkeit der Verpackungssteuer bestätigt werden, schätzt die städtische Mitarbeiterin, dass viele andere Städte und Gemeinden nachziehen. »Etwa 90 Städte waren bisher deswegen mit uns im Kontakt. Die Gemeinde Kleinmachnow bei Berlin plant für 2025 ebenfalls eine Verpackungssteuer einzuführen.« Patzwahl könne verstehen, dass vielerorts erst auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gewartet wird. (GEA)