TÜBINGEN. »Schon bei der ersten Vorstellung war das Team mein Favorit«, gesteht Helmut Scherer. Maria Spohr präsentierte souverän die Idee der Gruppe »Back in the Game«, die ein Handyspiel entwickelt, das bei Depressionen helfen soll. Aber auch zwei andere Projekte erscheinen Scherer vielversprechend. »Ich würde allerdings bei allen den Namen ändern«, sagt der mehrfache Firmengründer, Investor und Entwicklungsleiter des Tübinger Elektromedizin-Unternehmens Erbe lachend.
Beim »Pitch 50« zur Halbzeit haben sieben Teams der Med-Tech Startup School der Uni Tübingen ihre Halbzeitbilanz vor einem kritischen, ausgewählten Publikum vorgelegt. Anschließend wurden die Präsentationen bewertet. Die Gruppe, die eine Anti-Depressions-App entwickelt, um beispielsweise die lange Wartezeit auf einen Therapieplatz zu überbrücken (der GEA berichtete) kam auf den zweiten Platz. Zusammen mit einem Team, das an einer Virtual-Reality-Brille und einer speziellen Trainingssoftware zur Rehabilitation von Schlaganfall-Patienten arbeitet. Den ersten Platz belegte eine Gruppe, die eine mobile Lösung für die Kühlung von Verletzungen erfunden hat, bei der die Temperatur therapeutisch individuell eingestellt werden kann.
Umsetzung braucht Hilfe
In den verbleibenden vier Wochen bis zum abschließenden Demo-Day können sich die Teams für bestimmte Bereiche noch einmal ganz konkrete Unterstützung holen. »Ich könnte ihnen zum Beispiel einen Entwickler zur Verfügung stellen«, sagt Scherer in Hinblick auf den im Team »Back in the Game« immer noch fehlenden Part. Und wie alle anderen Gruppen sei auch diese bei der Präsentation nicht »knackig« genug, was den Kunden oder den Finanzfluss angeht. »Damit tun sie sich alle schwer«, hat Scherer beobachtet. Die Erstplatzierten seien da schon einen Schritt weiter, da sie bereits länger an ihrer Idee arbeiten als andere Gruppen.
Den Innovations-Prozess zu begleiten, hält auch Michael Burnet von dem Tübinger Forschungsunternehmen Synovo für sehr wichtig. »Die Teams haben das heute alle sehr gut gemacht.« Die Med-Tech Startup School sei eine unheimlich wertvolle Maßnahme, die man in Zusammenarbeit mit der Forschung unterstützen sollte. »Man sieht den Unterschied zwischen der ersten Präsentation und der jetzigen«, so Burnet. Die jungen Leute gehen mit viel mehr Selbstbewusstsein hier raus, hat er beobachtet. Die Startup School habe einen großen Effekt auf ihr Auftreten auf dem Produktmarkt. Der Kommerz sei für sie kein Geheimnis mehr. »Viele Doktoranden meinen, die Wirtschaft ist ein Monster. Das Gegenteil ist der Fall.«
Auch Burnet ist von der Anti-Depressions-App überzeugt. Er kenne die Auswirkungen der Krankheit aus dem eigenen Bekanntenkreis. »Depressionen werden unterschätzt. Die Hemmschwelle, etwas dagegen zu tun ist riesig.« Daher sei eine Maßnahme vor einer Therapie oder der Einnahme von Medikamenten zu begrüßen. »Der Ansatz ist gut, die Umsetzung braucht allerdings noch Hilfe.«
Patienten profitieren
Die Krankenkassen tendieren mittlerweile dahin, neben analogen auch digitale Therapien zu fördern, insofern wären sie unter Umständen daran interessiert, für ihre Patienten die Kosten für die App zu übernehmen. Zumal das Spiel parallel genutzt die Therapie auch beschleunigen könnte. Sollte man die Patienten die App zahlen lassen? »Das rechnet sich nicht«, befürchtet Katharina Stegen von »Back in the Game«. »Im therapeutischen Bereich sind die Downloadzahlen in der Regel sehr weit davon entfernt, auch nur die Kosten zu decken.« Aber vielleicht die Arbeitgeber, wenn man denen vermitteln könne, dass es weniger Ausfälle gebe, wenn Mitarbeiter mit depressiven Symptomen die App nutzen.
»Sie kann natürlich nicht das einzige Mittel gegen Depressionen sein«, weiß Professor Christian Plewnia, einer der Wissenschaftler im Anti-Depressions-App-Team. Aber eines von vielen. Studien haben gezeigt, dass die täglich halbstündige Benutzung eines Programms, auf das die App unter anderem aufbaut, nach zwei Wochen zu einer Verbesserung der Depression geführt hat. Erste Erfahrungen der Patienten mit diesem Programm sind sehr positiv, sagt der Leiter des Zentrums für Hirnstimulation. (GEA)
MED-TECH STARTUP SCHOOL TÜBINGEN
In 100 Tagen von der Idee zum fertigen Geschäftsmodell
In 100 Tagen von der Idee zum fertigen Geschäftsmodell: An der Med-Tech Startup School im Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Forschungszentrum Tübingen arbeiten auch in diesem Jahr wieder über 40 Teilnehmer an der Entwicklung von medizintechnischen Innovationen. In den gut drei Monaten beschäftigen sich die Gruppen mit ihren Vorhaben, bekommen Tipps von Experten, lernen, wie man Kundengespräche führt, einen Finanzierungsplan aufstellt und welche Förderprogramme es gibt. Die Teams haben die Möglichkeit, Mentoren zu gewinnen und Präsentationen zu üben und zu verbessern. Am Demo Day, Montag, 15. Oktober, stellen die einzelnen Gruppen ihre Projekte dann einem Publikum aus Investoren und Vertretern der Industrie vor. (ist)