TÜBINGEN. Bundesforschungsminister Cem Özdemir hat am Freitag das Tübingen AI Center besucht. Dort informierte er sich über aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen bei der Forschung an künstlicher Intelligenz (KI) sowie deren Nutzung in der Gesellschaft, heißt es in einer Pressemitteilung der Universität Tübingen. Begleitet wurde er bei seinem Besuch von Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Petra Olschowski. Das Tübingen AI Center ist eine vom Bund und Land dauerhaft geförderte gemeinsame Forschungseinrichtung der Universität Tübingen und des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme.
»In Zeiten, in denen langjährige Partnerschaften ins Wanken geraten, wird technologische Souveränität immer wichtiger und das ganz besonders bei so einer zentralen Schlüsseltechnologie wie KI. Deshalb brauchen wir eine KI ‚Made in Europe‘. Die von Bund und Land geförderten KI-Kompetenzzentren spielen dabei eine wichtige Rolle. Denn die KI-Entwicklung wird weiterhin maßgeblich von der Forschung getrieben«, wird Özdemir in der Pressemitteilung zitiert. »Das Tübingen AI Center zeigt eindrucksvoll, wie Spitzenforschung und Innovation unter einem Dach vorangetrieben werden können. Gemeinsam mit den Partnern im Cyber Valley hat sich hier ein herausragendes KI-Ökosystem entwickelt. In solche regionalen Ökosysteme in Schlüsseltechnologien müssen wir weiter investieren.«
Wissenschaftsministerin Petra Olschowski ergänzte: »Die dauerhafte Förderung des Tübingen AI Center durch Bund und Land ermöglicht es, eine langfristige Forschungsstrategie zu verfolgen, exzellente KI-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler auszubilden und so erfolgreiche KI-Technologien ‚made in The Länd‘ in Unternehmen und Gesellschaft zu bringen.«
Einblick in die Arbeit des AI-Center in Tübingen
Die Verantwortlichen des Tübingen AI Center boten dem Besuch von Bund und Land Einblicke in ihre Arbeit. Anhand einer KI-Lösung für personalisierte Bildung präsentierten sie, wie öffentliche Forschung und private Digitalwirtschaft gemeinsam innovationsstarke Open-Source-Lösungen zum Wohle der Gesellschaft entwickeln können. Das Beispiel zeigt, wie durch die Kombination aus Forschung, Produktentwicklungsexpertise und Open Source künftige öffentliche Infrastruktur-Innovationen kosteneffizient, zugänglich und effektiv umgesetzt werden können. Das Tübingen AI Center ist auch Teil des OpenEuroLLM- Konsortiums, welches gerade begonnen hat, ein mit Deepseek mindestens vergleichbares Open-Source-Sprachmodell zu entwickeln, das alle europäischen Sprachen beherrscht. Auch im Bereich Start-ups erweist sich das Tübingen AI Center als Innovationsbeschleuniger. Seit Februar wird das Ernteroboter-Projekt Polybot von der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) unterstützt.
In Anlehnung an den AI Action Summit, der vor kurzem in Paris stattgefunden hat, bestand das zentrale Anliegen der Forschenden darin, Eckpunkte einer nationalen KI-Strategie zu erörtern, die dringend benötigt wird, um Europas Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Einigkeit herrschte beim gemeinsamen Ziel, Anwendungen im Bereich künstlicher Intelligenz in möglichst vielen Lebensbereichen zum Nutzen der Gesellschaft in Deutschland und Europa voranzubringen.
Professorin Karla Pollmann, Rektorin der Universität Tübingen, wurde bei dem Termin durch Prorektor Professor Samuel Wagner vertreten. Sie sagte anlässlich des hochrangigen Besuchs aus Berlin und Stuttgart: »Die Universität Tübingen, zusammen mit dem Tübingen AI Center, dem ELLIS-Institut Tübingen, dem Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme und weiteren Partnern und Stiftern, steht für Spitzenforschung im Bereich KI. Möglich machen das die vielen hochkarätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hier im Cyber Valley, die auch dank der Förderung durch Bund und Land interdisziplinär an Lösungen für wichtige Probleme arbeiten. Es ist entscheidend, dass wir gemeinsam mit der Politik effektive Maßnahmen identifizieren, um den gesellschaftlichen Herausforderungen noch besser gerecht werden zu können.«
Gezielte Investitionen für internationale Konkurrenzfähigkeit
An der Diskussion zu den Eckpunkten einer nationalen KI-Strategie nahmen neben dem Vorstand des Tübingen AI Centers auch Vertreter von ELLIS, Cyber Valley und der SPRIND sowie Gründer und Berater der KI-Startups Black Forest Labs, Maddox, Meshcapade, Polybot und Prior Labs und der Bildungsinitiativen »KI-macht-Schule«, dem Bundeswettbewerb KI und des Hector Future Fund teil. Ziel der Diskussion war zu erörtern, welche konkreten Maßnahmen besonders wichtig seien, damit Deutschland im globalen Konkurrenzkampf um die KI-Vorherrschaft mithalten kann.
»Dreistellige Milliardeninvestitionen wie bei Stargate scheinen nicht in Reichweite, aber eine Milliarde Euro pro Jahr könnte vieles ermöglichen«, sagte Matthias Bethge, Direktor des Tübingen AI Centers. Unter anderem empfahlen die Forschenden, spezifisch zusammengestellte Spitzenteams zum Beispiel mit Hilfe der SPRIND agil zu fördern, um große KI-Modelle für öffentliche Anwendungen zu entwickeln. Zudem müssten Rechenkapazitäten sowohl von Hochleistungsrechenzentren als auch von privaten Anbietern für KI flexibel und zentral bereitgestellt werden. Bethge betonte, dass es nicht nur auf den Umfang der finanziellen Förderung ankommt, sondern auch auf schnelle Entscheidungen, und stellte fest: »Deutschland ist im globalen KI-Wettbewerb zehnmal zu langsam.« Zur Abhilfe hofft er auf ein Agilitäts-Blitzprogramm für einen radikalen Bürokratie-Abbau.
Die besten Köpfe für Europa gewinnen
Auf der europäischen Ebene wurde vorgeschlagen, weitere ELLIS-Institute in Europa zu gründen, nach dem Vorbild Tübingens und Finnlands. Der Wissenschaftliche Direktor des ELLIS-Instituts Tübingen, Bernhard Schölkopf, erklärte: »Über Europa verteilt brauchen wir mindestens zehn bis fünfzehn KI-Forschungsinstitute von Weltformat, die wissenschaftlich in der Liga von ETH und Max Planck spielen und gleichzeitig Ausgründungen unterstützen.« Die Vision von ELLIS sei von Anfang an gewesen, eine europäische Forschungsgesellschaft ähnlich dem CERN und dem European Molecular Biology Lab (EMBL) aufzubauen.
Das ELLIS-PhD-Programm, welches mit 380 ELLIS-Fellows mehr KI-Professorinnen und -Professoren umfasst als die Stanford University, die University of California Berkeley und das MIT zusammen, zieht bereits Tausende von Top-Studierenden aus mehr als hundert Nationen weltweit an. Es könne sehr schnell zum weltweit attraktivsten Doktoranden-Programm werden, wenn es durch eine europäische KI-Forschungsgesellschaft gestärkt würde. Als besonders einfache und schnelle Maßnahme solle das Programm durch ein »Distinguished PhD Scholarship« gestärkt werden, um die besten PhD-Studenten von den weltweit führenden Universitäten abzuwerben.
Insgesamt betonten die Forschenden, wie viel die europäische ELLIS-Initiative bereits mit sehr wenigen Mitteln erreicht hat und drängten auf eine ambitionierte nationale KI-Strategie, die auf Exzellenz setzt und die klügsten Köpfe anzieht. (GEA)