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Aktuell Sexkaufverbot

Aidshilfe Tübingen-Reutlingen gegen Kriminalisierung von Prostitution

Geschäftsführerin der Aidshilfe lehnt nordisches Modell ab. Risiko für HIV nimmt zu

Beim Fachkongress der Sexarbeiter wird über Prostitution und Probleme des Gewerbes diskutiert. Foto: Lukas Schulze
Foto: Lukas Schulze
Foto: Lukas Schulze

TÜBINGEN. Die Geschäftsführerin der Aidshilfe Tübingen-Reutlingen, Brigitte Ströbele, spricht sich deutlich gegen das Sexkaufverbot aus. Sie warnte beim Pressegespräch anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen davor, dass jede Form der Kriminalisierung von Prostitution den Menschen schadet, die in der Sexarbeit tätig sind.

Hintergrund ist die aktuelle Diskussion über das sogenannte Sexkaufverbot, das auch von den Tübinger SPD-Frauen Dorothea Kliche-Benke und Marie Kaltenbach sowie von Teilen der Landes-SPD eingefordert wird. Der Reiz, das sogenannte nordische Modell auch für Deutschland zu fordern, liegt nach Auffassung von Ströbele darin, dass diese Haltung es ermöglicht, eine normativ eindeutige Position zu beziehen.

Prostitution geht oft mit bedrückenden Umständen einher: Armut, fehlender Zugang zu Gesundheits- und Bildungsangeboten, Drogengebrauch. Strafrechtlich hat das aber oft nichts mit Menschenhandel oder Zwangsprostitution zu tun. Die Idee, alledem durch ein Sexkaufverbot den Boden zu entziehen, ist verlockend, zumal, wenn vier europäische Staaten diesen Weg bereits gegangen sind.

HIV-Risiko nimmt zu

Das ist aber der falsche Weg, betont Ströbele. Auch die Welt-Gesundheits-Organisation WHO warnte dringend vor den Folgen einer solchen Politik. In Ländern, die repressiv gegen Prostitution vorgehen – egal ob über das sogenannte Sexkaufverbot oder mithilfe von anderen Maßnahmen – seien die Sexarbeiterinnen massiven Gesundheitsrisiken ausgesetzt und das Risiko einer HIV-Infektion und anderer sexuell übertragbarer Infektionen steige deutlich an.

Statistisch gesehen ist das HIV-Risiko laut Aidshilfe bislang unter den weiblichen Sexarbeiterinnen in Deutschland gegenüber der Allgemeinbevölkerung nicht erhöht. Es gibt allerdings Subgruppen, in denen ist HIV stärker verbreitet und diese sind deshalb gefährdeter, sich mit HIV zu infizieren: Männer, die Sex mit Männer haben, Transgender sowie Sexarbeiterinnen, die intravenös Drogen konsumieren.

Um die Ausbreitung von HIV gering zu halten, müssen in der Sexarbeit tätige Menschen angemessen aufgeklärt werden. Jede Form von Kriminalisierung schwächt also Sexarbeiterinnen in der Gesellschaft, anstatt ihnen verantwortliches Handeln zu ermöglichen. Die Tübinger Aidshilfe-Mitarbeiterinnen Sandra Kristen und Daniela Lindpaintner verweisen auf ein von der Deutschen Aidshilfe gemeinsam mit anderen Institutionen herausgegebenes Positionspapier. In diesem Text werden internationale Studien zitiert, die belegen, dass in den Ländern, in denen Prostitution kriminalisiert wird, das Risiko für Sexarbeiterinnen, sich mit HIV oder anderen sexuell übertragbaren Infektionen zu infizieren, doppelt so hoch ist. Außerdem steigt die Wahrscheinlichkeit, Opfer von sexueller und körperlicher Gewalt zu werden, deutlich an.

In diesem Zusammenhang weisen die Aidshilfe-Mitarbeiterinnen auch die Behauptung zurück, dass Prostituierte mit dem sogenannten Sexkaufverbot vor Zwang und Menschenhandel geschützt werden könnten. Der Zugang zu Hilfe und Beratung wird enorm erschwert. Wenn Prostitution ins Unsichtbare verlagert wird, ist es ungleich schwieriger, Hinweisen darauf nachzugehen. Wo derzeit Beratungsstellen, Gesundheitsämter und auch die Polizei gute Kontakte ins Milieu pflegen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen können, das es Opfern erlaubt, sich zu offenbaren, würde ein Sexkaufverbot all dies zunichtemachen. (a)

DAS NORDISCHE MODELL

Unter dem Begriff »nordisches Modell« wird die Variante der skandinavischen Länder zur Bekämpfung von Prostitution bezeichnet. Das Modell kriminalisiert die Kunden der Prostituierten. Ziel ist es, die Nachfrage nach gekauften Sex abzuschwächen und sie so weitestgehend einzudämmen. Das Modell ist 1999 in Schweden entwickelt worden. 2009 schlossen sich Norwegen und Island an. Frankreich folgte im Jahr 2016. (GEA)