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Aktuell Leserfrage

Wieso fallen Menschen in der Region weiter auf Schockanrufe herein?

Die Reutlinger Polizei warnt seit langem eindrücklich und immer wieder vor sogenannten Schockanrufen. GEA-Leser fragten: Wieso geraten dennoch immer wieder, vor allem ältere Menschen in die Fänge der Kriminellen, obwohl die Masche hinlänglich bekannt ist? Der GEA konnte unter anderem mit einer Betroffenen sprechen.

Trotz aller bekannten Warnungen der Polizei: Telefonbetrüger sind auch in Reutlingen und der Region aus eigener Sicht immer wied
Trotz aller bekannten Warnungen der Polizei: Telefonbetrüger sind auch in Reutlingen und der Region aus eigener Sicht immer wieder erfolgreich. Der Schockmoment hilft ihnen, wie der GEA von einer Betroffenen erfahren hat. Foto: AdobeStock/GEA Repro
Trotz aller bekannten Warnungen der Polizei: Telefonbetrüger sind auch in Reutlingen und der Region aus eigener Sicht immer wieder erfolgreich. Der Schockmoment hilft ihnen, wie der GEA von einer Betroffenen erfahren hat.
Foto: AdobeStock/GEA Repro

REUTLINGEN. »Es kann sich kaum jemand vorstellen, was so ein Anruf in einem auslöst, der es noch nicht selbst erlebt hat«, sagt Hertha R. dem GEA. Die 84-Jährige berichtet ausführlich und in allen Details darüber, wie sie einen solchen Betrugsanruf erlebt und vor allem, was sie in den ersten Augenblicken gefühlt hat: »Die heißen nicht ohne Grund Schockanrufe, denn ich stand im ersten Moment tatsächlich unter Schock. Ich hatte Schweißausbrüche und habe gezittert.« Auch jetzt, wenige Tage, nachdem es passiert ist, zeigt sie Fassungslosigkeit und Aufgewühltheit: »Ich kannte doch die Masche. Ich lese Zeitung und auch bei Aktenzeichen XY wurde schon gewarnt. Ich wusste das alles. Und dennoch bin ich denen in die Falle gegangen - für einige Minuten.« Sie macht das am Schockmoment fest. »Dieser Anruf kam völlig überraschend und gleich sah ich mich mit einem Horror-Szenario konfrontiert. Mit so etwas rechnet ja niemand. So schnell konnte ich gar nicht schalten.«

Auch Hertha R. tischten die Telefonbetrüger ihre übliche und frei erfundene Lügengeschichte auf: Ihr Sohn habe einen schweren Unfall gehabt. Er habe eine Mutter von zwei Kindern totgefahren, sitze jetzt in Untersuchungshaft und brauche mindestens 50.000 Euro, um aus dem Gefängnis freizukommen. Alles aufgetischt von einem Mann, der sich als Polizist ausgab.

»Ich wusste das alles. Und dennoch bin ich denen in die Falle gegangen«

Hertha R. ging es damit so, wie unzähligen Opfern der Schockanrufer. Im Rückblick sagt sie: »Diesen Moment des Schocks nutzen die Betrüger aus. Die Geschichte klang durch die ruhige und professionelle Art, in der der angebliche Polizist sprach, zunächst glaubwürdig. Es klang irgendwie so echt, auch weil der Betrüger die Namen meines Sohnes kannte - sogar den seines Bruders.« Doch trotz Zittern und Schweißausbrüchen kamen der Rentnerin im Laufe des Gesprächs Zweifel: »Als der fragte, ob ich Wertsachen oder Schmuck in meiner Wohnung hätte, wurde ich misstrauisch. Dann fiel mir ein, was ich aus der Zeitung und dem Fernsehen über die Schockanrufe wusste. Ein Glück, dass mein Gehirn da wieder funktionierte.« Sie habe noch gerufen, »nichts bekommt ihr von mir!«, und da sei der Anruf abrupt abgebrochen worden. Sie habe noch mehrere Stunden gebraucht, um das Erlebte zu verarbeiten, berichtet sie. Der Schock habe tief gesessen.

Diese Eindrücke der Rentnerin aus dem GEA-Verbreitungsgebiet kennt die Reutlinger Polizei aus ihrer Ermittlungsarbeit: »Die Betrugs-Erzählung mit dem Sohn, der Tochter oder den Enkeln, die wegen eines schweren Unfalls im Gefängnis sitzen, ist zwar schon alt, aber sie bildet das Schockelement des Anrufs. Darauf setzen die Täter bewusst, bei jedem ihrer Telefonate«, weiß Martin Raff, Sprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen. Sobald die meist älteren Opfer eine Reaktion zeigten, hingen sie am Haken der Betrüger. Die Masche werde um Fangfragen ausgedehnt, um beispielsweise die richtigen Namen der Kinder, Enkel oder Angehörigen zu ergattern: »Sie glauben ja nicht, was ihrem Sohn passiert ist!« Wenn die korrekte Antwort vom Opfer selbst kommt: »Sie meinen doch nicht etwa den Jürgen?«, dann sei die nächste Stufe der Betrugs-Erzählung erreicht.

»Ich stand im ersten Moment tatsächlich unter Schock«

Ihre Opfer suchen sich die Täter laut Polizeisprecherin Andrea Kopp in den öffentlichen Telefonverzeichnissen. »Alte Vornamen« wie beispielsweise Hertha, Heinz, Maria, Josef, Gertrud, Albert oder Elfriede sind für die Schockanrufer ein recht sicherer Hinweis auf Rentnerinnen oder Rentner. Deshalb empfiehlt die Polizei auf einer Beratungsseite im Internet auch, den Eintrag im Telefonverzeichnis zu ändern: »Wenn Sie weiterhin im Telefonbuch verzeichnet sein möchten, lassen Sie am besten Ihren Vornamen abkürzen, damit der oder die Täter keinen Hinweis auf Ihr Alter bekommen«, heißt es dort. Also aus Gertrud Müller ein schlichtes G. Müller machen. Oder auf einen Telefoneintrag völlig verzichten, so die Polizei.

Besonders perfide sind die Anrufe dann, wenn beispielsweise die Polizeinotrufnummer 110 im Display der Opfer erscheint. Andreas Kopp: »Diese Nummern sind in der Regel technisch verändert, sodass eine echte Rufnummer einer Polizeidienststelle angezeigt wird - man nennt es gespooft.« Diese Nummern können deshalb auch nicht zurückverfolgt werden. Spoofing bedeutet, dass die Kriminellen mit gefälschten Telefonnummern, oder bei E-Mails, mit gefälschten Absendern ihre Opfer hereinlegen wollen.

»Die Polizei wird nie bei Ihnen anrufen, um Sie über Ihr Vermögen auszufragen«

Das Betrugsopfer Hertha R. hat nach dem, was sie am Telefon erlebt hat, Anzeige bei der Polizei erstattet, auch wenn sie letztendlich doch nicht auf den Schockanruf hereingefallen ist und kein Geld, Wertsachen oder Schmuck an die Betrüger überreicht hat. Sie habe genau richtig gehandelt, so Polizeisprecherin Kopp: »Nur wenn wir sofort von einer solchen Welle erfahren, können wir auch zielgerichtet warnen. Außerdem kann es helfen, Täter zu fassen und später Tatzusammenhänge festzustellen.« Ihre eindringliche Warnung und der entscheidende Hinweis bei solchen Betrugsversuchen: »Die Polizei wird nie bei Ihnen anrufen, um Sie über Ihr Vermögen auszufragen, oder um Sie zur Übergabe von Geld und anderen Vermögenswerten auffzuordern. Einziger Zweck der Lügen ist, den Leuten Angst einzujagen und sie dazu zu bringen, Geld und Wertsachen zu übergeben oder zur Abholung vor die Tür zu legen.« Weitere nützliche Hinweise und Tipps hat die Polizei auf einer speziellen Internetseite zusammengestellt. (GEA)

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