STUTTGART. Die Grünen mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann haben die Landtagswahl in Baden-Württemberg mit einem bundesweiten Rekordergebnis gewonnen und können sich die Koalitionspartner aussuchen. Die bisher mitregierende Südwest-CDU stürzte am Sonntag in ihrer einstigen Hochburg auf das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte.
Die grün-schwarze Koalition könnte zwar weiterregieren, die Grünen haben aber auch die Möglichkeit, mit SPD und FDP ein Ampel-Bündnis zu bilden. Nach einer ARD-Hochrechnung vom Abend wäre auch eine Neuauflage der grün-roten Koalition denkbar, die zwischen 2011 und 2016 schon einmal regierte.
Für den 72 Jahre alten Kretschmann wäre es schon die dritte Wahlperiode an der Macht. Er nehme den Auftrag zur Bildung einer Regierung mit »Dankbarkeit und Demut« an, sagte er. Er werde mit CDU, SPD und FDP Gespräche führen. Zunächst will er mit der CDU sprechen, dies sei aber nicht als Zeichen zu werten.
Bei der CDU steht Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann vor dem politischen Aus. Es sei ein »enttäuschendes und desaströses Wahlergebnis«, sagte die 56-jährige Kultusministerin. »Natürlich übernehme ich die Verantwortung.« Sie strebe keine führende Rolle in der Partei an. Landeschef Thomas Strobl will Grün-Schwarz unbedingt fortsetzen: »Es gibt keine Wechselstimmung im Land.«
Sowohl Grün-Schwarz als auch eine Ampel hätten stabile Mehrheiten, dagegen hing Grün-Rot am seidenen Faden. Die Grünen landen nach der Hochrechnungen von Infratest dimap für die ARD von 20.53 Uhr bei 32,4 Prozent und hätten damit 53 Mandate. Die SPD käme demnach auf 11,6 Prozent und 19 Sitze. Das wäre zusammen eine hauchdünne Mehrheit von 72 von insgesamt 143 Sitzen. Allerdings kommen Grüne und SPD auf 44,0 Prozent, während die anderen drei Parteien zusammen 44,1 Prozent hätten. Die CDU hätte demnach 23,6 Prozent, die AfD 10,1 Prozent und die FDP 10,4 Prozent.
Bei der Forschungsgruppe Wahlen (21.02 Uhr) reicht es dagegen knapp nicht für Grün-Rot. Die Grünen kommen demnach auf 32,8 Prozent, die SPD auf 11,1 Prozent, macht zusammen 43,9 Prozent. Sie kämen gemeinsam auf 77 Mandate, die Mehrheit liegt aber nach dieser Berechnung bei 78 Sitzen. Die CDU kommt laut ZDF auf 23,6 Prozent, die AfD auf 10,1 Prozent und die FDP auf 10,3 Prozent. Das wären zusammengerechnet 44 Prozent.
Für die Grünen ist es in jedem Fall das beste Ergebnis auf Landes- und Bundesebene jemals. Vor fünf Jahren war die Ökopartei auf 30,3 Prozent gekommen. Die CDU rutscht in ein Rekordtief nach 27,0 Prozent im Jahr 2016. Die AfD verfehlt die starken 15,1 Prozent von vor fünf Jahren klar. Die SPD verliert nochmal nach 12,7 Prozent bei der letzten Wahl. Die FDP kann sich nach 8,3 Prozent 2016 deutlich steigern. Die Linke verfehlt mit 3,2 bis 3,5 Prozent klar den Einzug in den Landtag.
Kretschmann sagte, Baden-Württemberg brauche eine »verlässliche und stabile Regierung« die einen klaren Kompass habe. Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand sprach von einem »großen Vertrauensbeweis« für seine Partei. »Wir wissen heute Abend nicht, mit wem wir wollen.« Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz sagte: »Wir werden sehr zügig für Mitte nächster Woche zu Sondierungsgesprächen einladen.«
CDU-Generalsekretär Manuel Hagel erklärte: »Das ist ein ganz bitterer Abend für die CDU Baden-Württemberg.« Man drücke sich nicht davor, weiter zu regieren. Aber der Ball liege nun bei den Grünen. Strobl soll federführend mit den Grünen sondieren, ob eine Neuauflage der grün-schwarzen Koalition möglich ist. Eine Deutschland-Koalition mit SPD und FDP komme nicht infrage, erklärte er. Strobl gilt als Vertrauter von Kretschmann. Die CDU will unbedingt verhindern, neben der AfD in der Opposition zu landen.
SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch sagte am Abend zu einer möglichen grün-roten Koalition: »Hier ist eine Mehrheitsoption für eine neue Landesregierung.« Er würde auch mit nur einer Stimme Mehrheit mit den Grünen regieren wollen. »Wenn es für das Land gut ist, würde ich das tun«, sagte er der dpa. SPD-Generalsekretär Sascha Binder sagte: »Die CDU ist abgewählt.«
FDP-Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke sieht in dem guten Abschneiden seiner Partei einen Auftrag zum Mitregieren und setzt auf eine Ampel mit Grünen und SPD. »Die Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger wollen die FDP wieder in der Regierung sehen.«
Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind der erste Stimmungstest vor der Bundestagswahl am 26. September gewesen. Für die Union, die bundesweit in den Umfragen weit vor den Grünen liegt, sind die Resultate der CDU in beiden Ländern ein schwerer Rückschlag. In Rheinland-Pfalz landete die CDU deutlich hinter der SPD von Regierungschefin Malu Dreyer. Das Top-Ergebnis der Südwest-Grünen dürften der Bundespartei Rückenwind geben.
Die Wahlbeteiligung lag am Sonntag zwischen 63 und 64,5 Prozent. Das ist deutlicher niedriger als 2016, als 70,4 Prozent der Berechtigten zur Wahl gegangen waren. Dafür war die Zahl der Briefwähler diesmal corona-bedingt weit höher als in den Jahren zuvor, wie die Landeswahlleiterin mitteilte. Insgesamt waren 7,7 Millionen Menschen aufgerufen, über einen neuen Landtag abzustimmen. Darunter sind etwa 500 000 Erstwählerinnen und Erstwähler.
Der Wahlsieg der Grünen festigt die Vormachtstellung der Ökopartei in Baden-Württemberg, die Wahlforscher vor allem an der starken Stellung des Landesvaters Kretschmann festmachen. Dieser sei bei der Landtagswahl ein »überragender Faktor« gewesen. Ihm bescheinigten 80 Prozent aller Menschen im Land eine gute Arbeit. Er verkörpere wie kaum ein anderer den »idealtypischen Landesvater«, analysierte die Forschungsgruppe Wahlen. Dagegen hat sich die über fast sechs Jahrzehnte dominierende CDU innerhalb von 15 Jahren fast halbiert, im Jahr 2006 lag sie noch bei 44,2 Prozent.
Vor zehn Jahren war Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt worden, nachdem Grün-Rot die schwarz-gelbe Koalition des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) überholt hatte. 2016 wurden die Grünen dann erstmals stärkste Partei, allerdings reichte es nicht mehr für eine Koalition mit der SPD. Kretschmann ging ein Bündnis mit der CDU ein. (dpa)