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Wie die Stromerzeugung in Zukunft aussehen könnte

Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger übt heftige Kritik an der deutschen Energiepolitik. EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos sagte dagegen: »Das Ganze funktioniert!«

Das Kernkraftwerk Isar 2
Das Kernkraftwerk Isar 2 Foto: dpa
Das Kernkraftwerk Isar 2
Foto: dpa

STUTTGART. Egal ob Digitalisierung, Künstliche Intelligenz oder Elektromobilität: der Strombedarf wächst und wächst. Kein Wunder, dass viele Menschen die Energiewende als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit sehen. Nur wenn sie gelingt, kann Wohlstand und Fortschritt gesichert werden. Doch wie der Weg ins neue Energiezeitalter aussehen soll, darüber streiten sich die Geister vortrefflich. Das war auch bei einem Streitgespräch in der Landesmesse Stuttgart unübersehbar.

»Auf den Punkt« heißt die Veranstaltungsreihe, ausgerichtet von der Messe in Zusammenarbeit mit dem Verein »Mit uns für Baden-Württemberg e.V.« unter der Regie von Ex-Regierungssprecher Matthias Kleinert. Der EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos jedenfalls urteilte von den drei Gästen, die Kleinert befragte, am gnädigsten mit der in Deutschland unter der Ampel-Regierung forcierten Energiewende. 55 Prozent des Stroms in Deutschland seien bereits aus erneuerbaren Energien. »Das Ganze funktioniert also«, betonte Stamatelopoulos. Durchschnittlich gebe es in Deutschland 17 Minuten Stromunterbrechung pro Jahr. Kein Wert, der besorgniserregend sei. In den USA oder in Italien seien es nämlich 75 Minuten.

Die Versorgungssicherheit, so der Chef des baden-württembergischen Energiekonzerns, »geht auch in Ordnung«. Nur beim Strompreis müsse nachjustiert werden, da er »in Deutschland hoch ist«. Das absolute Rekordjahr liege mit 2022 zwar schon wieder zwei Jahre zurück und der Industriepreis von 17 Cent pro Kilowattstunde habe wieder dasselbe Niveau wie 2016. Dennoch sagt Stamatelopoulos: »Die Energiewende muss billiger werden.«

Der ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger wirft den Deutschen Scheinheiligkeit vor
Der ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger wirft den Deutschen Scheinheiligkeit vor Foto: dpa
Der ehemalige EU-Kommissar Günther Oettinger wirft den Deutschen Scheinheiligkeit vor
Foto: dpa

Was den ehemaligen EU-Kommissar Günther Oettinger fast noch mehr empört: »Kaum jemand ist scheinheiliger als wir Deutschen«. Fracking im eigenen Land lehne man ab, »aber dann importieren wir aus fernen Ländern gefracktes Gas«. Beim Atomstrom das gleiche Muster: Atomkraft nein danke, aber Atomstrom aus Frankreich importieren, daran störe sich keiner. Günther Oettinger, der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, fällt daher ein anderes Fazit: »Wir lügen uns bei den Energiekosten in die eigene Tasche«, sagt er. Niemand auf der Welt folge dem deutschen Beispiel, »kein anderes Land will nur mit erneuerbarer Energie versorgt werden«. Die Folge sei nämlich, dass man ein teures Back-up-System vorhalten müsse, falls bei Dunkelflaute oder Windstille zu wenig Strom produziert werde. Diese Parallelstruktur aber sei exorbitant teuer. Der Buchautor und Unternehmer Wilfried Hahn sagt, die Kosten gingen in die Billionen. Eine Studie von McKenzie habe sie mit sechs Billionen Euro beziffert.

Der Unternehmer Hahn plädiert deshalb dafür, auf Atomreaktoren der neuen Technologie zu setzen. Eine dieser Lösungen kommt von Copenhagen Atomics mit seinen Thorium-Flüssigsalzreaktoren (MSR). Diese Technologie könne langfristig die erneuerbaren Energien ersetzen, indem sie zuverlässigen CO2-freien Strom für weniger als zwei Cent pro Kilowattstunde lieferten.

Bereits zwei Prototypen wurden im Werk in Kopenhagen gefertigt. Der erste Testreaktor mit Kernspaltung soll 2027 in Betrieb gehen. Eine Studie von Professor Simon Michaux zeige, dass dieser Reaktor 636-mal weniger Atommüll produziere als herkömmliche Reaktoren. Aufgrund des modularen Designs von Copenhagen Atomics könne jeden Tag ein Reaktor mit 100 Megawatt thermischer Leistung produziert werden. Das bedeute eine jährliche Kapazität von 15 Gigawatt Strom – genug, um ganze Länder mit günstiger und grundlastfähiger Energie zu versorgen. Im Gegensatz zu großen Kraftwerken, die jahrzehntelange Bauzeiten haben, ließen sich die modularen Reaktoren schnell installieren. Die Bauzeit einer kompletten Anlage bezifferte Hahn mit 18 bis 24 Monaten. Ein weiterer Vorteil der Technologie sei es, bestehenden Atommüll als Brennstoff zu nutzen und zu beseitigen. Während klassische Kraftwerke langlebige und problematische Abfälle erzeugten, verwerte der Flüssigsalzreaktor diese Abfälle und reduziere die notwendige Lagerzeit drastisch.

EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos setzt auf erneuerbare Energie
EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos setzt auf erneuerbare Energie Foto: dpa
EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos setzt auf erneuerbare Energie
Foto: dpa

EnBW-Chef Stamatelopoulos ist da eher skeptisch und stellte nüchtern fest: »Die SMR-Technologie befindet sich im Entwicklungsstadium und ist kommerziell nicht verfügbar.« Sein Unternehmen verfolge zwar jede Entwicklung im energietechnischen Umfeld, sehe aber »mittelfristig keine Realisierungsperspektive für diese Technologie«.

Konventionelle Kraftwerke dürften es in Deutschland ebenfalls schwer haben. Sie sind extrem teuer und haben eine zu lange Bauzeit, wie der aktuelle Bau des Meilers Hinkley Point C im englischen Somerset zeigt. Die Kosten werden inzwischen auf mehr als 50 Milliarden Euro beziffert. Baubeginn war 2016. Frühestens 2031 dürfte der erste von zwei Reaktoren ans Netz gehen. Stamatelopoulos stellt diese Kosten in Relation zum Wachstumskurs der EnBW. Bis 2030 will der Konzern gut 40 Milliarden Euro in den Umbau des Energiesystems investieren – es ist das größte Investitionsprogramm in der Geschichte des Unternehmens. Ein Kernkraftwerk ist dabei nicht vorgesehen.

Zudem sagt Günther Oettinger: »Da die Grünen in der deutschen Politik eine starke Bedeutung haben und der Kampf gegen Kernkraft ihre Gründungs-DNA ist, glaube ich nicht mehr an eine Renaissance der Kernkraft in Deutschland.« Atomkraft Nein danke! Hat dieser Slogan also tatsächlich obsiegt? Weltweit wohl kaum, und selbst bei den Grünen hat Hahn noch Hoffnung. »In Finnland haben sich die Grünen mittlerweile für Kernkraft ausgesprochen!« Dort ist Atomkraft längst Teil des Energiemixes. Sie soll helfen, schneller die Klima-Neutralität zu erreichen.

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