Die Punktierte Porenscheibe wächst auf Pferdeäpfeln, steht auf der Roten Liste bedrohter Arten und gilt in vielen Bundesländern als ausgestorben. Vor zwei Jahren tauchte der Pilz in Brandenburg wieder auf - der erste Fund dort nach fast 170 Jahren, als die Porenscheibe häufig vorkam. Nun wurde sie wiederentdeckt. Auf weitgehend naturbelassenen Böden, wo Tiere sich natürlich ernähren können. Keine intensive Landwirtschaft, kein Kraftfutter. Das dürften die Gründe sein, warum Poronia punctata - so der wissenschaftliche Name - wieder eine Lebensgrundlage hatte.
Wer einen Pilz bestimmen (lassen) will oder welche zur Forschung braucht, wird im Naturkundemuseum Karlsruhe fündig. Hier lagern rund 111.000 getrocknete Belege im Pilzherbarium - von der Porenscheibe über Rostpilze, die ein Laie mit bloßem Auge kaum erkennen kann, bis zu bekannteren Arten wie Fliegenpilzen und dem Purpurbraunen Mutterkornpilz, der als Parasit Roggen und andere Gräser befällt. Die Pilzsammlung ist die größte ihrer Art in Baden-Württemberg.
Weltweit könnte es der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM) zufolge rund Millionen Pilzarten geben. Viele davon sind jedoch noch nicht wissenschaftlich beschrieben. »Es existieren also vermutlich mehr als zehnmal so viele Pilz- wie Pflanzenarten auf unserer Erde«, schreiben die Fachleute für Mykologie, der Wissenschaft von den Pilzen. Mehr als 13.000 Arten sind den Angaben nach in Deutschland bekannt. Und auch hierzulande kommen immer wieder neue hinzu.
Ihre Ernährungsweisen sind unterschiedlich: Viele Arten zersetzen organisches Material oder versorgen als sogenannte Symbionten Pflanzen mit Wasser und Mineralstoffen. Wieder andere sind Parasiten. Menschen fallen Pilze im Allgemeinen vor allem durch die Fruchtkörper auf, die zum Beispiel bei Trüffeln, Steinpilzen und Morcheln essbar sind. Oft nicht sichtbar sind die Pilzfäden (Hyphen) im Substrat darunter, deren Gesamtheit als Myzel bezeichnet wird.
Doch infolge des Wald- und Artensterbens seien viele heimische Pilze gefährdet oder schon ausgestorben, mahnt der Naturschutzbund Deutschland. Das Bundesamt für Naturschutz und die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg etwa führen dazu Übersichten. Als besonders geschützt gelten im Südwesten Pilze mit so schillernden Namen wie Märzschneckling, Erlen-Grübling und Anhängsel-Röhrling.
In das Pilzherbarium am Naturkundemuseum gelangen Belege, die Wissenschaftler selbst sammeln oder durch Privatsammlungen, die angekauft und getauscht werden oder die dem Museum geschenkt werden. Im Museum kümmert sich dann ein kleines Team um die Pilze: Frisch gesammelte Kollektionen werden bestimmt, dann gereinigt, getrocknet, präpariert, tiefgefroren und so sterilisiert, digitalisiert und kommen schließlich in Tüten oder Schachteln - mit einem Etikett versehen. Darauf befinden sind sich die wichtigsten Informationen wie der Name des Pilzes, der Fundort und das Sammeldatum.
Heutzutage werden die Pilzbelege nicht nur mit dem Lichtmikroskop untersucht. Sehr oft wird das Elektronenmikroskop mit einer höheren Vergrößerung eingesetzt. Auch wird die DNA isoliert und sequenziert.
Die modernen Methoden bringen viele zusätzliche Informationen. Die Sammlungen hätten deshalb einen noch größeren wissenschaftlichen Stellenwert als früher, sagt Kurator Markus Scholler. Um möglichst vielen die Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen, werden die Daten digitalisiert. Mehr als die Hälfte der Sammlung ist online abrufbar. »Wären die Pilze hier nur deponiert, würde das wenig nützen. Wichtig ist, dass die Öffentlichkeit weiß, was die Sammlung enthält.«
Über einen digitalen Katalog auf der Internetseite des Museums kann man gezielt nach Pilzarten suchen oder auch nach möglichen Pilzen, die zum Beispiel im Zusammenhang mit bestimmten Pflanzen vorkommen. Wissenschaftler aus Forschungseinrichtungen können Belege zu Forschungszwecken ausleihen. Das Museum erhält Anfragen von weltweit.
Das Portal ist für Fachleute gedacht, die wissenschaftliche Namen kennen, und dient nicht als Verbreitungskarte etwa für Pilzsammler. Wer so etwas für Baden-Württemberg oder Deutschland sucht, wird im Pilz-Portal der DGfM fündig. Regionale mykologische Arbeitskreise in Baden-Württemberg - von Forbach (Landkreis Rastatt) bis Ehingen an der Donau (Alb-Donau-Kreis) - tragen ihren Teil dazu bei.
Überhaupt hat Pilzforschung im Südwesten eine lange Tradition: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekam die mykologische Forschung Schwung, wie die DGfM berichtet - vor allem durch Arbeiten von Anton de Bary an der Universität in Freiburg. Für Freizeitforscher ist das Pilzzentrum Hornberg (Ortenaukreis) die älteste Lehr- und Ausbildungseinrichtung für Mykologie in Deutschland.
1918 gründete sich die gesamtdeutsche Vereinigung der Pilzfreunde unter Vorsitz des Lehrers Wilhelm Obermeyer in Stuttgart-Gablenberg. Aus dieser Vereinigung ging 1930 der Verein der Pilzfreunde Stuttgart hervor, der nach DGfM-Angaben heute der mitgliederstärkste regionale Pilzverein Deutschlands ist. Wiederum in Karlsruhe wurde 1921 der Vorgänger der DGfM gegründet, sie hat hier nach wie vor ihren Sitz.
Kurator Scholler nennt die Stadt sogar ein Zentrum der deutschen wissenschaftlichen Mykologie, weil dort neben dem Museum weitere Institutionen zu und mit Pilzen forschen. Fachleute am Karlsruher Institut für Technologie nutzen dafür molekularbiologischen Methoden. Das Max Rubner-Institut, das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, forscht zu Schimmelpilzen. Und am Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg wiederum geht es um Pflanzenkrankheiten, die durch Pilze verursacht werden.
Infos über Taxonomie von Rostpilzen und DNA-Barcoding
Deutsche Gesellschaft für Mykologie über Naturschutz
DGfM über Pilze in Baden-Württemberg
Nabu Baden-Württemberg über Pilze
Bundesamt für Naturschutz zur Gefährdungssituation der Pilze in Deutschland
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