Logo
Aktuell Sprache

Von Corona-Babys bis Zoom-Room - Krise ist Quell neuer Wörter

Gesellschaftliche Entwicklungen, technologische Fortschritte oder historische Ereignisse schlagen sich auch in unserer Sprache nieder. Auch die Corona-Krise führt zu sprachlichen Neuerungen.

Eine Frau sitzt während der Corona-Pandemie an einem Tisch in ihrer Wohnung vor einem Laptop, während sie mit weiteren fünf Pers
Eine Frau sitzt während der Corona-Pandemie an einem Tisch in ihrer Wohnung vor einem Laptop, während sie mit weiteren fünf Personen an einer Videokonferenz teilnimmt. Foto: dpa
Eine Frau sitzt während der Corona-Pandemie an einem Tisch in ihrer Wohnung vor einem Laptop, während sie mit weiteren fünf Personen an einer Videokonferenz teilnimmt.
Foto: dpa
MANNHEIM. Annette Klosa sammelt Wörter - Neuschöpfungen, solche mit Bedeutungsveränderung und Anglizismen. Ihre Leidenschaft für diese Neologismen kann die Linguistin am Mannheimer Leibniz- Institut für Deutsche Sprache (IDS) während der Corona-Krise voll ausleben. Das Paradebeispiel der Wort-Jägerin ist das »Social Distancing«, ein in den deutschen Wortschatz eingeflossener englischer Begriff, der die - derzeit gebotene - räumliche Distanz zwischen Menschen bezeichnet.

Deshalb sei der Fachausdruck aus der Epidemiologie nicht mit »soziale Distanzierung« ins Deutsche zu übersetzen, meint Klosa. Denn angesagt ist ja gerade, trotz räumlicher Trennung soziale Kontakte zu halten und zu pflegen über Telefon, soziale Medien oder Briefe. Ob »Social Distancing« eine Überlebensdauer jenseits der Corona-Krise und losgelöst von den Ereignissen im Jahr 2020 hat, ist Klosa noch unklar. Deshalb stellt sie ihn unter Beobachtung als möglichen Kandidaten für das IDS-Neologismen-Wörterbuch.

Der Begriff »Social Distancing« hat auch den deutschen Schriftsteller- Verband PEN (Poets, Essayists, Novelists) auf den Plan gerufen. Er appelliert an alle, den Ausdruck nicht eins zu eins zu übersetzen, sondern durch Begriffe wie »physische Distanz« oder »körperlicher Abstand« zu ersetzen. PEN-Präsidentin Regula Venske hatte im März gesagt, jetzt sei soziale Nähe gefragt - Gemeinsinn, Kooperationsfähigkeit und Verantwortung füreinander. »Man mag sagen, dass es derzeit dringlichere Probleme gibt, als Worte auf die Goldwaage zu legen. Aber Sprache prägt unser Denken und unser Verhalten. « Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verwendet nicht das Wort »Social Distancing«, sondern betont: »Im Moment ist nur Abstand Ausdruck von Fürsorge«.

Ein weiterer Begriff, der IDS-Mitarbeiterin Klosa neuerdings in Texten über Corona auffällt, ist die »Triage«. Der Ausdruck kommt vom französischen »trier« - »sortieren«. Historisch ist damit die Entscheidung in den Feldlazaretten gemeint, überlebensfähige Männer zu behandeln und dem Tode geweihte aufzugeben. Dass das Wort heute in Europa wieder Auferstehung feiert im Zusammenhang mit der Behandlung coronainfizierter Patienten, erschreckt Klosa. »Ich glaube nicht, dass sich das durchsetzt in der Allgemeinsprache, weil es hoffentlich auch in keinem anderen Zusammenhang gebraucht werden wird.«

Viel mehr Spaß machen Klosa die »Corona-Babys«, die dank der vielen Freizeit von Paaren in relativer Abschottung in neun Monaten zu einem Geburtenanstieg führen könnten. Kürzlich meldete die Stadt Mannheim schon ihr erstes »Corona-Baby«, allerdings in anderem Kontext: Es handelt sich um ein von einer mit Covid-19 infizierten Mutter geborenes gesundes Kind.

Der »Gabenzaun«, an den mitleidige Menschen in der Corona-Krise Lebensmittel für Notleidende hängen, dürften sich - auch sprachlich - schnell erledigt haben, meint Klosa. Bislang war der Begriff nur auf ein derartiges Angebot in Hamburg bezogen. »Ich glaube, dass das wieder abflaut, wenn die Tafelläden und sonstige Angebote für Arme wieder öffnen«, meint sie.

Als Beispiel für ein eingeführtes Wort mit neuer Bedeutung nennt Klosa das »Geisterspiel«, also Fußball vor leeren Rängen. »Das Geisterspiel gibt es schon immer als Sanktion für Fans oder Vereine, Spiele ohne Publikum wegen des Corona-Versammlungsverbotes haben den Begriff erweitert«, sagt die Wissenschaftlerin.

»Zoom-Room«, ein Begriff aus den USA, benennt den Abschnitt eines Zimmers, der für Videokonferenz präsentabel gemacht wird - auch wenn es darum herum wie ein Schlachtfeld aussieht. Nach Ansicht Klosas könnte der Begriff mit einer möglicherweise erweiterten Nutzung der Software Zoom aus Amerika nach Deutschland herüberschwappen.

Regelrecht begeistern kann Klosa sich für die »Infodemie«, eine Mischung aus Information und Pandemie. Sie steht für die weltweite schnelle Ausbreitung von Falschnachrichten, aber auch für ein Zuviel an Informationen insgesamt. Klosa: »Die Infodemie kann auch zu einer Corona-Mattheit führen.« Der Begriff tauchte Anfang Februar 2020 in einer Pressemeldung der Weltgesundheitsorganisation auf und ist seitdem in vielen Zeitungsberichten verwendet worden, wie die Expertin erläutert. (dpa)