Wieder ein neuer Parkplatz, hier ein Industriegebiet und dort eine Neubausiedlung. In Baden-Württemberg verschwindet täglich rund ein halbes Dutzend Hektar pro Tag unter Beton oder Asphalt. Mehr als acht Fußballplätze. Viel zu viel, kritisiert ein breites Bündnis von Umwelt-, Naturschutz- und Landwirtschaftsverbänden und fordert verbindliche Obergrenzen für den Flächenverbrauch. Diese Grenzen müssten gesetzlich verankert werden, heißt es im Volksantrag »Ländle leben lassen«, für den die Verbände seit Donnerstag Unterschriften sammeln. Insgesamt werden 40.000 Unterzeichnende benötigt, damit der Landtag über den Volksantrag berät und die Initiatoren anhört, teilten die Verbände mit.
»Der Flächenverbrauch ist neben dem Klimawandel und dem Artenrückgang das dritte große Umweltproblem in unserem Land«, sagte Gerhard Bronner vom Landesnaturschutzverband (LNV) am Donnerstag in Stuttgart. »Sanfte Methoden und Lippenbekenntnisse funktionieren da nicht mehr.« Anspruch und Wirklichkeit klafften im Handeln der Landesregierung bei diesem Thema weit auseinander. »Mit unserem Volksantrag fordern wir die Politik auf, den Flächenverbrauch als eines der drängendsten Umweltprobleme endlich zu stoppen«, erklärte Hans-Benno Wichert, Vizepräsident des Landesbauernverbandes (LBV).
Neben den gesetzlich verankerten Obergrenzen fordern Verbände wie der LNV und die Bauern, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV) auch einen besseren Schutz für fruchtbare Böden. Außerdem müssten Gewerbebrachen, Leerstände und Baulücken genutzt werden, um zusätzlichen Wohnraum zu schaffen.
Insbesondere in dicht besiedelten Ländern wie Baden-Württemberg führe der hohe Bedarf an neuen Wohn- und Gewerbegebieten sowie der Ausbau von Straßen und Infrastrukturprojekten zu einem stetig wachsenden Druck auf die nur begrenzt verfügbaren Flächen, hieß es. »Das hat gravierende Konsequenzen für unsere Umwelt und für das Klima«, warnte das Bündnis. Mit jeder neu versiegelten Fläche gingen Böden für die Lebensmittelproduktion, Landschaften, seltene Lebensräume und Biotope unwiderruflich verloren.
Wohnungsbauministerin Nicole Razavi sprach von einem »anspruchsvollen Spagat«. Es würden mehr Wohnraum, Windräder und Photovoltaik-Anlagen, Verkehrswege und Entwicklungsmöglichkeiten für die Wirtschaft benötigt, sagte die CDU-Politikerin. »Für all das brauchen wir Flächen und wollen doch zugleich auch den Flächenverbrauch insgesamt senken.« Sie werde das Gespräch suchen und die Verbände einladen. Sie versprach zudem einen »Aktionsplan Flächensparen«, mit dem der Flächenverbrauch reduziert werden soll.
Die SPD-Fraktion im Landtag begrüßte den Vorstoß. Der Flächenverbrauch in Baden-Württemberg sei ein echtes Problem, teilte die umweltpolitische Sprecherin Gabi Rolland mit. Das bedeute nicht, dass nicht mehr gebaut werden dürfe. Aber Baden-Württemberg brauche Maßnahmen, die den Flächenverbrauch im Land zähmten.
Kritik an den Plänen der Verbände kam von der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Hauptgeschäftsführer Thomas Möller bezeichnete die Forderung vor allem mit Verweis auf den Wohnraummangel als unrealistisch. Der Verband Unternehmer Baden-Württemberg betonte, Unternehmen bräuchten auch künftig neue Flächen, um Produktionsstandorte zu erweitern und so Arbeitsplätze im Südwesten zu sichern.
Der tägliche Flächenverbrauch lag nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Baden-Württemberg im Jahr 2021 bei 6,2 Hektar pro Tag - das war deutlich mehr als die durchschnittlich 5,4 Hektar im Jahr zuvor. Im Jahr 2000 waren es zwar noch 12 Hektar pro Tag, aber Grüne und CDU in Baden-Württemberg haben auch ein ehrgeiziges Ziel: In ihrem Koalitionsvertrag verspricht die Landesregierung, den Flächenverbrauch auf zunächst 2,5 Hektar pro Tag zu begrenzen und bis 2035 auf Netto-Null zu reduzieren. »Mit den bisher ergriffenen Maßnahmen wird sie dieses Ziel nicht erreichen - tatsächlich steigt der Flächenverbrauch seit 2018 wieder deutlich an«, kritisiert das Bündnis.
Nach Angaben des Nabu sind mittlerweile 14,8 Prozent des Landes mit Häusern, Parkplätzen oder Straßen bedeckt. Im Jahr 2000 waren es noch 13,2 Prozent. »Schaut man auf die letzten beiden Generationen, so haben sie so viel neue Siedlungsfläche in Anspruch genommen wie alle 80 Generationen zuvor«, kritisieren die unterzeichnenden Verbände.
Fragen und Antworten zum Volksantrag
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