STUTTGART. Wegen dramatisch steigender Infektionszahlen steht Baden-Württemberg vor der Ausrufung der höchsten Corona-Alarmstufe - und vor weiteren Einschränkungen des Alltags. Ab kommender Woche gilt die Maskenpflicht an weiterführenden Schulen auch im Unterricht. »Die Erweiterung der Maskenpflicht ab Klasse 5 auf den Unterricht gilt ab einer landesweiten Sieben-Tage-Inzidenz von über 35«, teilte eine Sprecherin des Kultusministeriums am Freitag der Deutschen Presse-Agentur mit. »Wir werden heute die Schulen darüber informieren, dass dies dann ab kommenden Montag zu beachten ist.«
Am Donnerstag lag die Inzidenz im Südwesten bei 38 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche. In Stuttgart war dieser Wert mit 82,9 am höchsten. Bislang galt die Maskenpflicht ab Klasse 5 und an weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg lediglich auf sogenannten Begegnungsflächen wie Schulfluren, Aula und Toiletten. An Grundschulen müssen weiterhin keine Masken getragen werden. Im Corona-Hotspot Stuttgart gilt bereits eine Maskenpflicht im Unterricht.
»Wenn die Zahlen so steigen wie jetzt in ganz Baden-Württemberg, müssen wir striktere Maßnahmen ergreifen«, sagte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) am Freitag bei einer Veranstaltung des Städtetags. »Ich bin zuversichtlich, dass das die Schulen hinbekommen.« Derzeit befänden sich gut 600 von 67 500 Klassen in Quarantäne. »Das verteilt sich gut.«
»Das halte ich für konsequent«, kommentierte die Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Doro Moritz, die Maskenpflicht. Die Lüfterei in den Klassenzimmern funktioniere nicht wirklich. Man müsse jede weitere Maßnahme nutzen. Am wichtigsten sei aber Abstand. Moritz plädierte für einen Schichtbetrieb an den Schulen. So könnte beispielsweise im Tausch die halbe Klasse im Klassenzimmer lernen und die andere Hälfte den Unterricht digital verfolgen. Moritz sagte, sie denke nicht, dass man um eine erneute Einschränkung des Präsenzunterrichts herumkomme.
Die Landesregierung hatte im September ein dreistufiges Alarm-System im Kampf gegen eine zweite Corona-Welle eingeführt. Entscheidend für die Einstufung dabei ist die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz. Aber auch andere Faktoren spielen bei der Bewertung eine Rolle, etwa die absoluten Infektionszahlen, die Zahl der Tests oder der Reproduktionswert (R-Wert), der angibt, wie viele Menschen ein Erkrankter im Schnitt mit dem Virus ansteckt.
Vergangene Woche wurde die »Anstiegsphase« ausgerufen, in der Ausbrüche zunehmen, Landkreisgrenzen überschreiten und zunehmend nicht mehr nachzuvollziehen sind. Diese Stufe 2 wird begleitet von verschärften Kontrollen und Appellen.
Die dritte, kritische Phase beinhaltet weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens - unter anderem die landesweite Maskenpflicht im Unterricht. Sie gilt vor allem ab einer landesweiten Sieben-Tage-Inzidenz von 35 Fällen auf 100 000 Einwohner. Dann besteht ein starker, möglicherweise exponentieller Anstieg der Fallzahlen mit diffusen, häufig nicht mehr nachvollziehbaren Infektionsketten.
Nach dem Konzept der Landesregierung soll dann im Einzelhandel die Anzahl der Personen pro Verkaufsstelle eingeschränkt werden. In der Gastronomie könnten dann der Ausschank von Alkohol eingeschränkt und der Betrieb auf Außenbereiche beschränkt werden. Veranstaltungen und Kontaktmöglichkeiten sollen eingeschränkt, Hygienemaßnahmen sowie Sanktionen bei Verstößen ausgeweitet werden. Die Regelversorgung in Krankenhäusern soll auf das Nötigste beschränkt werden. Mit diesen Maßnahmen soll ein allgemeiner Lockdown - die Schließung von Schulen und Betrieben - möglichst vermieden werden.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann kündigte am Freitag an, dass die Bürger damit rechnen müssten, dass spätestens am Montag die dritte Pandemiestufe ausgerufen werde. Wenn es so weitergehe, werde Baden-Württemberg am Wochenende bei mehr als 50 Neuinfektionen per 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche liegen, sagte der Grünen-Politiker bei der Hauptversammlung des Städtetags Baden-Württemberg, die per Videokonferenz stattfand.
Die SPD vermisst allerdings Konsequenz im Krisenmanagement der Landesregierung. »Die meisten Inhalte des Landeskonzepts zur zweiten Stufe stehen bisher nur auf dem Papier«, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch. »Daher habe ich die Befürchtung, dass es bei der dritten Stufe auch nicht anders wird. Aber die zweite Welle lässt sich nicht nur wegappellieren.«
Kretschmann appellierte am Freitag erneut an die Bevölkerung. »Wir können die Welle nur dann brechen, wenn wir jetzt handeln.« Mehr denn je komme es auf die Eigenverantwortung der Menschen an. Wenn die Infektions-Dynamik nicht gebrochen werde, werde es selbstverständlich auch keine Weihnachtsmärkte geben, sagte Kretschmann.
Im Streit um Beherbergungsverbote und das Krisenmanagement von Bund und Ländern machte sich Kretschmann für den Föderalismus stark und forderte ein Ende der »Debatte um Kleinstaaterei«. In Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern gebe es eben vergleichsweise niedrige Infektionszahlen. »Die müssen doch nicht dieselben Regeln machen wie wir.« Mit dem Föderalismus sei man gut gefahren verglichen mit den Nachbarländern Deutschlands. (dpa)