JUSTIZ. Sogenannte beschleunigte Verfahren sollen nach dem Willen der neuen Justizministerin Marion Gentges (CDU) über kurz oder lang im ganzen Land genutzt werden, um Gerichtsprozesse zügiger abschließen zu können. »Ich möchte, dass wir die Erkenntnisse aus den Modellprojekten nutzen und weitere Standorte im Land finden«, sagte Gentges der Deutschen Presse-Agentur. »Es ist unser Ziel, das an alle geeigneten Gerichte zu bringen.«
Bei vergleichsweise geringen Vergehen können vor allem Kleinkriminelle in Baden-Württemberg innerhalb von nur 24 Stunden vor einem Richter landen. In einem Modellprojekt in Freiburg, Stuttgart und Mannheim sind seit dem vergangenen Juli bereits mehr als 180 Expressurteile (Stichtag: 15. Februar 2021) gesprochen worden. Corona habe den Trend zum sogenannten beschleunigten Verfahren gebremst, hieß es aus dem Justizministerium. Es habe in der Zeit der Pandemie weniger geeignete Fälle gegeben, weniger Kontakte und auch nur wenige Verhandlungen gegeben.
Mit den Urteilen - einige davon fallen am selben oder teils dem nächsten Tag - will die Justiz vor allem den zeitraubenden und kostspieligen Ablauf vergangener Zeiten bei kleineren Delikten umgehen. Schnelle Entscheidungen vor Gericht sollen nicht nur Staatsanwaltschaften und Gerichte, sondern auch Opfer, Zeugen und selbst die Täter entlasten. »Vor allem bei jüngeren Tätern ist es pädagogisch sinnvoll, dass zwischen Tat und Verurteilung kein längerer Zeitraum liegt«, sagte Gentges. Hinzu kommt, dass Täter ohne festen Wohnsitz in Deutschland normalerweise für die Justiz kaum zu greifen sind.
Nach dem Willen der Justiz soll die Strafe im Idealfall der Tat auf dem Fuße folgen. Von den 183 Verfahren in den Modellverfahren (bis 15. Februar 2021) wurden 130 am Tattag oder einen Tag später verhandelt, 95 Täter wurden zu Freiheitsstrafen mit und ohne Bewährung verurteilt. In 125 Fällen wurden keine Rechtsmittel eingelegt.
Neu ist diese juristische Praxis nicht. Sie ist seit Jahrzehnten unter Paragraf 417 der Strafprozessordnung festgeschrieben bei einfachem Sachverhalt und klarer Beweislage, bei einer zu erwartenden Höchststrafe von einem Jahr und sofern der Beschuldigte einverstanden ist. Vorreiter sind Nordrhein-Westfalen und auch Niedersachsen.
Allerdings braucht es für Expressverfahren stets auch einen Staatsanwaltschaft, einen Richter, einen Protokollanten und mindestens einen Justizwachtmeister. In den Modellstandorten wurde mit insgesamt sechs neuen Stellen dem Personalproblem bei beschleunigten Verfahren entgegengewirkt. »Rollt man es flächendeckend aus, braucht man auch entsprechend Personal«, sagte Gentges. (dpa)