Es ist aufsehenerregend genug, wenn der Inspekteur der Polizei, der ranghöchste Polizist eines Landes, vor Gericht steht. Noch erschreckender ist es, wenn es dabei um sexuelle Belästigung einer Untergebenen geht. Was nun offenbar wird in dem viel beachteten Prozess vor dem Landgericht, sieht mehr denn je aus wie ein Muster des Machtmissbrauchs, das sich über Jahre zog. Der Inspekteur soll seine sexuellen Fantasien demnach nicht nur mit der Kommissarin ausgelebt haben, die ihn schließlich anzeigte. Das Beuteschema: Junge Polizistinnen, die Karriere machen wollen.
Eigentlich ist der Inspekteur angeklagt, weil er im November 2021 eine damals 32 Jahre alte Kommissarin vor einer Kneipe in Stuttgart genötigt haben soll. Er soll sie, so die Anklage, gedrängt haben, sein Glied in die Hand zu nehmen, und dabei gepinkelt haben. Der Angeklagte selbst räumt den sexuellen Kontakt zwar ein, er sagt aber, die Sache sei einvernehmlich abgelaufen. Es geht in dem Verfahren um die Frage, ob er seine Machtstellung als Vorgesetzter missbrauchte, um die Kommissarin zu sexuellen Gefälligkeiten zu drängen. Bis zum rechtskräftigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.
Nach den Informationen, die am Dienstag im Gericht von der Nebenklage geschildert werden, war die Sache aber alles andere als eine einzelne Entgleisung. Demnach hatte der Inspekteur bereits zwei Jahre zuvor, als er noch gar nicht im Amt war, eine Anwärterin für den höheren Dienst im Visier. Er selbst nimmt qua Funktion Einfluss auf solche Karriereverläufe, sitzt in der Auswahlkommission. Der Angeklagte hat die Karriere der Frau laut Nebenklage gefördert.
Laut Nebenklage-Anwalt schickte der Inspekteur der Polizistin, Vorname J., im Jahr 2019 mehrfach Nacktbilder und -videos, die sein erigiertes Glied zeigen oder wie er uriniert. Die Frau ist zu der Zeit liiert. Ihr Partner entdeckt demnach die Bilder, konfrontiert seine Frau damit. Die antwortet, das sei eben der »Fetisch des Inspekteurs«, gegen den werde sie nichts unternehmen, wie weiter erklärt wird. Daraufhin konfrontiert ihr Mann den Inspekteur direkt per WhatsApp. Was dieser Mann beruflich macht, bleibt im Prozess unklar, aber die beiden kennen, duzen sich.
Der Nebenklage-Anwalt liest im Verfahren den Nachrichtenverlauf der beiden Männer vor. Datum: 4. Juli 2019.
14.51 Uhr, der Mann schreibt: »Ich werde mit den Bildern und Videos nichts unternehmen. Du hast mir schon viel bezüglich J. geholfen. Ganz schön krank, (...). Such dir einen guten Psychologen, du hast es bitter nötig.«
15.36 Uhr, der Inspekteur antwortet: »Ich kann natürlich deinen Brass auf mich verstehen und akzeptiere deine Meinung über mich, auch wenn ich diese nicht teile. Bezüglich den Bildern und Videos hätte ich aber einfach die herzliche Bitte, dass du diese löscht. Diese sind hochpersönlich und waren nicht für Dritte bestimmt. Ansonsten wünsche ich dir persönlich alles Gute, auch in der Beziehung mit J. - Pass auf sie auf, sie ist ein ganz wertvoller Mensch.«
17.09 Uhr, der Mann schreibt zurück, wird drastischer: »Wenn man ein Schwanzbild im Kinderzimmer seines Kindes macht, ist eine Grenze überschritten. Und auch Videos beim Pissen. Psychisch kranke Menschen haben meist ein verzerrtes Selbstbild. Für mich ist es Zeichen mangelnder Intelligenz, in deiner beruflichen Stellung solche Bilder zu machen, auf denen das Gesicht zu erkennen ist. Lass dir helfen, bevor mehr passiert. Klar, dass deine einzige Sorge die Löschung der Fotos ist. Ganz armselig und traurig.«
17.13 Uhr, der Angeklagte schreibt: »Wie bereits beschrieben, akzeptiere ich deine Meinung. Das ändert aber nichts daran, dass du nicht rechtmäßig im Besitz der Bilder bist, und ich dich nochmals um die Löschung bitte. Tu uns bitte beiden den Gefallen, und dann ist die Sache auch durch - und du wirst nie wieder was von mir hören.«
So steht es jedenfalls in den Unterlagen der Nebenklage-Anwälte, die die 32 Jahre alte Kommissarin im Prozess vertreten. Wohlgemerkt, dies soll alles geschehen sein vor der Beförderung zum Inspekteur der Polizei und vor der mutmaßlichen Tat im November 2021. Die Nebenkläger wollen nun den Mann, der mit dem Inspekteur hin und her schrieb, als Zeugen im Prozess hören. Die Anwältin des Inspekteurs hingegen wirft der Nebenklage vor, mit »Schmutz zu schmeißen«. Die Kriterien für eine glaubhafte Aussage seien nicht erfüllt, da der Zeuge die »Dick Pic«-Bilder durch eine Straftat erlangt habe. Wenn die Nebenklage meine, dem nachgehen zu müssen, müsse man das aus Gründen der Bedeutungslosigkeit ablehnen, warnte die Verteidigerin des Inspekteurs. Die Zeugin, die die Bilder bekommen habe, habe zudem eine außereheliche Beziehung zum Inspekteur geführt.
Kurz vor dem Prozessauftakt kam bereits ans Licht, dass der inzwischen vom Dienst freigestellte Inspekteur vor seiner Amtszeit Nacktbilder von sich an mindestens drei Polizistinnen geschickt hatte. Der Beschuldigte hatte sein Amt als ranghöchster Polizist des Landes im November 2020 angetreten. Zuvor war er stellvertretender Landeskriminaldirektor im Innenministerium und Vize im LKA. Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz berichtete am Dienstag, dass sich allein fünf Person mit Hinweisen rund um den Inspekteur an eine eigens dafür eingerichtete Ansprechstelle gewandt hätten.
© dpa-infocom, dpa:230509-99-620765/3