Die Männer hinter dem dicken Panzerglas wirken alles andere als eingeschüchtert. Mit breiter Brust lassen sie sich in Handschellen in den Saal führen. Sie schmunzeln auf der Anklagebank, tuscheln miteinander, winken ins Publikum, nur wenige von ihnen verstecken ihr Gesicht vor den Fotografen. Bei der Verlesung der Anklage schütteln sie immer wieder den Kopf - als ob sie die Vorwürfe nicht ernst nehmen könnten. Es geht um Terrorismus und Hochverrat, um die »Reichsbürger«-Szene, um Verschwörungsmythen und versuchten Mord.
Am Montag hat mit dem Terrorprozess gegen die mutmaßliche Verschwörergruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht ein historisches Verfahren begonnen. Die Verdächtigen sollen einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant haben. In Stuttgart geht es vor allem um den militärischen Arm der Gruppe, der die Machtübernahme mit Waffengewalt hätte durchsetzen sollen.
Insgesamt neun Männer, allerdings nicht Reuß selbst, müssen sich im streng gesicherten Saal in Stammheim verantworten - dort, wo einst bereits die RAF-Spitze vor Gericht stand. Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen und die sogenannte »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens«. Einer der Angeklagten steht zudem wegen versuchten Mordes vor Gericht - es handelt sich um den Mann, der im März 2023 bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Reutlingen mehrfach mit einem Gewehr auf Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos geschossen und dabei Beamte verletzt haben soll.
Zwei der Männer sagten am Montag, dass sie sich zu den Vorwürfen der Bundesanwaltschaft äußern wollen. Wann sie aussagen werden, ist noch unklar. Ein weiterer Angeklagter kündigte an, Angaben zur Person, aber nicht zur Sache machen zu wollen. Die restlichen sechs Angeklagten wollen zunächst überhaupt keine Angaben machen.
Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß war nach einer großangelegten Anti-Terror-Razzia in mehreren Bundesländern und im Ausland kurz nach dem Nikolaustag 2022 bekannt geworden. Als Oberhaupt einer neuen Staatsform hätte Reuß fungieren sollen. Die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann hätte für das Ressort Justiz zuständig sein sollen. Auch Ex-Soldaten gehören zu den Beschuldigten. Laut Anklage ist schon mit dem Aufbau eines deutschlandweiten Systems von mehr als 280 militärisch organisierten Heimatschutzkompanien begonnen worden.
Der Aufbau dieser Verbände war nach Angaben der Bundesanwaltschaft vom Montag bereits teils weit fortgeschritten. In zwei Fällen hätten die sogenannten Heimatschutzkompanien selbst aktiv werden können, sagte ein Vertreter der Behörde bei der Verlesung der Anklage. Innerhalb der »Kompanie 221«, die für die Bereiche Tübingen und Freudenstadt in Baden-Württemberg habe zuständig sein sollen, seien bereits Verantwortliche für die Rekrutierung weiteren Personals benannt worden.
Auch die Kompanie, die für Jena, den Saale-Holzland-Kreis und den Saale-Orla-Kreis habe zuständig sein sollen, habe selbst aktiv werden können. Zudem seien vielfältige Aktionen registriert worden, weitere Heimatschutzkompanien aufzubauen, sagte der Vertreter der Bundesanwaltschaft. Die Kompanien hätten laut Anklage nach einer potenziellen Machtübernahme der Gruppe politische »Säuberungsaktionen« in ihrem Zuständigkeitsbereich durchführen sollen.
Die Angeklagten werden alle der »Reichsbürger«-Szene zugeordnet, in der die Ansicht vorherrscht, das 1871 mit einem Kaiser an der Spitze gegründete historische Deutsche Reich bestehe heute noch fort. Der Fall um Prinz Reuß ist dabei in drei Verfahren aufgesplittet, aus praktischen Gründen und aufgrund der schieren Anzahl der Verdächtigen. In Frankfurt sind ab dem 21. Mai die mutmaßlichen Rädelsführer, darunter Reuß, angeklagt. In München stehen ab dem 18. Juni die übrigen mutmaßlichen Mitglieder vor Gericht.
Diese Aufsplittung auf drei Oberlandesgerichte beanstandeten am Montag beim Prozessauftakt gleich mehrere Verteidiger. Sie beantragten eine Einstellung oder Aussetzung des Stuttgarter Verfahrens und eine Zusammenlegung der drei Prozesse. Nach Worten eines Anwalts sei eine effektive Strafverteidigung nicht möglich, weil die Erkenntnisse in einem Prozess nur schwer in die anderen einließen könnten. Die Bundesanwaltschaft sei in allen drei Verfahren stets präsent, den Verteidigern sei dies nicht möglich - das verstoße gegen den »Grundsatz der Waffengleichheit«. Eine Zusammenlegung sei im Interesse einer umfassenden Aufklärung, sagte eine Verteidigerin. Es bestehe die Gefahr, dass Zeugen in den drei unterschiedlichen Prozessen unterschiedliche Aussagen machten.
Der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen wies den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens zurück. Die Forderung nach einer Zusammenlegung der drei Prozesse werde zurückgestellt.
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