STUTTGART. Der neue Finanzminister Danyal Bayaz will zur Bewältigung der Corona-Krise die Schuldenbremse aussetzen, damit das Land neue Kredite aufnehmen kann. Der Grünen-Politiker stellte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Aussicht, dass das Land die Corona-Krise erneut als Naturkatastrophe deklarieren könnte, um an frisches Geld zu kommen. »Die Pandemie ist eindeutig eine Naturkatastrophe, eine Disruption für die Gesellschaft, die uns alle im Kern getroffen hat«, sagte Bayaz der dpa in Stuttgart. Man stecke noch mitten in der Pandemie. »Wir machen Fortschritte beim Impfen. Wir sind aber noch weit weg von einer Herdenimmunität und davon zu sagen, es ist wieder normal.«
Die FDP hielt Bayaz mangelnden Sparwillen vor und drohte mit einer Verfassungsklage. Es sei falsch, wenn Bayaz behaupte, das Land stecke noch mitten in der Pandemie, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke am Montag. »Es ist absehbar, dass die Pandemie endet.« Er vermutet, die grün-schwarze Koalition wolle die Schuldenbremse umgehen, um mit dem Geld Haushaltslöcher zu stopfen. »Da kann ich mir durchaus eine Verfassungsklage gegen den Haushalt vorstellen.« Die Schuldenbremse lässt allerdings Ausnahmen in außergewöhnlichen Notsituationen und bei Naturkatastrophen zu.
CDU-Fraktionschef Manuel Hagel sagte zu der Diskussion: »Unser Haushalt steht vor gewaltigen Herausforderungen. Wir werden hier in unserer Koalition gute gemeinsame Lösungen erarbeiten.« Er betonte aber auch: »Klar ist, die Schuldenbremse gilt. Und sie muss auch möglichst zeitnah wieder greifen. Das ist für uns zentral.«
Bayaz kündigte an, Grün-Schwarz wolle bis zur Sommerpause einen Nachtragshaushalt durch das Parlament bringen. Der Etat werde sich vor allem um den Kampf gegen die Corona-Pandemie drehen - um Geld für Impfzentren, für Tests an Schulen, für das Schließen der Lernlücken der Kinder. Die alte grün-schwarze Landesregierung hatte wegen der Corona-Krise im Doppelhaushalt 2020/2021 neue Schulden in Höhe von 13,5 Milliarden Euro vorgesehen - auch hier hatte man argumentiert, Corona sei als außergewöhnliche Notsituation zu verstehen. Bayaz wies zudem darauf hin, dass der Bund nächstes Jahr ebenfalls Ausnahmen von der Schuldenbremse machen werde.
Unterstützung erhielt Bayaz vom DGB-Landesvorsitzenden Martin Kunzmann: »Baden-Württemberg braucht einen doppelten Turbo: für das Abfedern der Corona-Folgen und einen Investitionsschub zur Gestaltung der sozial-ökonomischen Transformation. Beides lässt sich nicht mit einem Sparhaushalt verwirklichen.«
Gleichwohl will Bayaz das Kabinett zum Sparen drängen. »Politik heißt auch immer, sich von alten Zöpfen zu trennen. Das ist manchmal schmerzhaft«, sagte der frühere Bundestagsabgeordnete aus Heidelberg. Jedes Ressort habe auch in Corona-Zeiten die Aufgabe, genau zu schauen, wo man Geld einsparen könne. »Da werde ich den Finger an der einen oder anderen Stelle in die Wunde legen, um genau das einzufordern.«
Man werde sich mehr als in der Vergangenheit über politische Prioritäten unterhalten müssen, sagte Bayaz mit Blick auf die Aufstellung des Haushalts und die kommenden Jahre. »Es ist kein Wünsch-dir-was.« In seinem eigenen Ressort sieht Bayaz den größten Handlungsbedarf bei der Digitalisierung der Verwaltung. »Das heißt nicht, wenn wir hier 20 Prozent Ressourcen einsparen, dass wir dann 20 Prozent der Beschäftigten einsparen.«
Bayaz hat den Sprung aus der Opposition im Bundestag in die Landesregierung geschafft. Als Finanzminister muss er in den kommenden Jahren vor allem den Mangel verwalten. Corona hat riesige Lücken in den Etat gerissen. In den kommenden Jahren fehlen dem Land jährlich Milliardenbeträge an Steuereinnahmen. Die neue Koalition muss zudem an den Altschuldenberg ran, der auf 58,5 Milliarden Euro gewachsen ist.
Die Milliardenlöcher im Haushalt bergen Zündstoff für Grüne und CDU. Die neue Landesregierung muss genau abwägen, welche Projekte sich finanzieren lassen oder verschoben werden müssen. Werden mehr Polizisten eingestellt oder mehr Lehrer? Wird in den Klimaschutz investiert oder werden erst die Schulden aus der Corona-Krise zurückbezahlt? Alle Vorhaben der grün-schwarzen Regierung - auch die zum Klimaschutz - stehen unter Finanzierungsvorbehalt.
Die Koalitionspartner wollen gleichzeitig an der Schuldenbremse festhalten. Derzeit wird vor allem im Bund über eine Weiterentwicklung der Schuldenbremse debattiert - etwa um Kredite für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz zu ermöglichen. Bayaz hält die Debatte für wichtig. Er erkennt keinen Konflikt zwischen dem Festhalten an der Schuldenbremse und dem Klimaschutz. »Wir hatten in den letzten Jahren volle Kassen und trotzdem haben wir beim Klimaschutz nicht die Sprünge gemacht, die wir hätten machen müssen.«
Auf die Frage, ob Klimaschutz wichtiger sei oder die Schuldenbremse, sagte Bayaz: »Politik bedeutet immer, mehrere Interessen unter einen Hut zu bekommen. Aber eins ist klar: Klimaschutz ist die Menschheitsaufgabe unserer Generation. Und da muss nicht mehr die Frage gestellt werden, ob wir's hinbekommen, sondern: Wie bekommen wir's hin?« Man werde enorm viel Kapital in die Hand nehmen müssen, um die Industrie im Land zu einer klimaneutralen Wirtschaft umzubauen. Er hält allerdings nichts davon, den Klimawandel ebenfalls als Katastrophe zu deklarieren, um neue Schulden aufnehmen zu können. (dpa)