STUTTGART. Die Landesregierung hat die Bürger im Südwesten eindringlich zur Vermeidung von Kontakten aufgerufen. Die Bürger müssten nun diszipliniert sein, sonst werde man auf einen Lockdown zurückgreifen müssen mit enormen Kollateralschäden, warnte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Man habe nicht mehr viele Dinge im Köcher bis zu dieser großen Maßnahme, sagte er mit Blick auf Beschränkungen.
Zur Eindämmung der Pandemie gelten im ganzen Land seit Montag strengere Regeln. Dazu gehören eine erweiterte Maskenpflicht sowie verschärfte Kontaktbeschränkungen - und zwar unabhängig davon, ob die jeweilige Stadt oder der Landkreis die Schwelle von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche überschreitet. Privat wie öffentlich dürfen sich nur noch maximal zehn Menschen treffen - es sei denn, sie leben in höchstens zwei unterschiedlichen Haushalten.
"Wir gewinnen das Spiel und verflachen die Kurve durch Gesamtreduktion unserer sozialen Kontakte, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) am Dienstag. In vierzehn Tagen werde man sich die Kurve anschauen und weiter entscheiden. Man tue alles, um das Gesundheitswesen zu stärken, sagte Lucha. Im Land gebe es bereits 1017 Corona-Schwerpunktpraxen, 34 Abstrichstellen und 14 Fieberambulanzen. Derzeit würden 94 akute Covid-19-Fälle in den Krankenhäuser behandelt, 50 Patienten würden intensiv beatmet. Das Land verfüge über 981 freie Intensivbetten und eine Notfallreserve von rund 1670 Betten.
Die Bundeswehr hilft unterdessen in immer mehr Regionen in Baden-Württemberg im Kampf gegen die Pandemie. Die Bundeswehr habe bereits 14 Anträge auf Amtshilfe von Stadt- und Landkreisen aus dem Südwesten bewilligt, teilte Kretschmann mit. Aktuell seien 101 Kräfte in sieben Gesundheitsämtern vor Ort im Einsatz. In weiteren sieben Kreisen laufe die Planung für den Einsatz von 66 Kräften. Sieben weitere Anträge auf Amtshilfe für weitere 59 Kräfte seien noch nicht bewilligt. Die Soldaten und Reservisten unterstützen die Ämter vor allem bei der telefonischen Kontaktnachverfolgung.
In Abgrenzung zu Aussagen von CSU-Chef Markus Söder machte sich Kretschmann für den Föderalismus stark. »Ich wüsste nicht, wo der Föderalismus an seine Grenzen gestoßen ist. Im Gegenteil: Dadurch sind wir so schnell«, sagte der Grünen-Politiker. Deutschland sei mit der föderalen Struktur gut durch die Krise gekommen. Söder hatte am Montag vor einer Schaltkonferenz des CSU-Vorstands in Nürnberg gesagt: »Ich bin ein überzeugter Föderalist, aber ich glaube, dass der Föderalismus zunehmend an seine Grenze stößt.«
Kretschmann verteidigt die Beschränkung der Teilnehmerzahl für Trauergottesdienste und Bestattungen im Freien. »Eine Trauerfeier mit 100 Personen ist jetzt nicht gerade an der Grenze der Pietät«, sagte er. »Es muss ja niemand Angst haben, dass wir auf Friedhöfe gehen und sagen: Du darfst da nicht stehen.« Die Landeskirchen und Diözesen seien gut organisiert.
Die Probleme lägen bei muslimischen und freikirchlichen Trauerfeiern, wo sich Hunderte Personen treffen würden. »Das sind die Problemzonen«, sagte Kretschmann. »Da wir das immer für alle gleich machen müssen, sind wir aufgrund solcher Vorkommnisse leider dazu gezwungen.« Ausnahmegenehmigungen seien zudem möglich, sofern ein Konzept vorliege. An Trauerfeiern und Bestattungen im Freien dürfen nur noch 100 Personen teilnehmen.
Kunststaatssekretärin Petra Olschowski (Grüne) hält zudem die bestehende Teilnehmergrenze von 500 Besuchern in Kultureinrichtungen für berechtigt. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen spreche das Publikum etwa im Theater nicht. Aufgrund der geltenden Abstandsregeln gebe es aber ohnehin »kein Haus, das eine 500er-Besetzung tatsächlich realisieren kann«, sagte Olschowski. Die Kultureinrichtungen sind vorerst nicht von den neuen Einschränkungen der Landesregierung in Baden-Württemberg wegen steigender Infektionszahlen betroffen. Egal ob in Wohnungen oder ob im Park dürfen ab dem Wochenbeginn höchstens zehn Personen zusammenkommen.
Oft sind Theater laut der Staatssekretärin zu einem Viertel oder einem Drittel besetzt. Durch die mittlerweile bestehende Maskenpflicht in vielen Theatern reagiere man angemessen auf eine steigende Zahl an Corona-Infektionen.
Die Kultureinrichtungen in Stuttgart wollen mit einem sogenannten Sicherheitskodex Besuchern einen gefahrlosen Besuch ermöglichen. 24 Theaterleiter und Intendantinnen bekräftigten darin unter anderem, auf die Einhaltung der Maskenpflicht in ihren Häusern zu achten. (dpa)