STUTTGART. Nach einer angespannten Nacht kämpfen die Einsatzkräfte in Teilen Baden-Württembergs weiter gegen ein drohendes Hochwasser. An der Messe Friedrichshafen am Bodensee sei ein zentrales Sandsack-Lager in Auftrag gegeben worden, teilte ein Feuerwehrsprecher am Samstag mit. Rund 10 000 Sandsäcke sollen demnach aus einem Nachbarkreis dorthin gebracht werden. Bis Mitternacht seien rund 780 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Deutschem Roten Kreuz im Einsatz gewesen.
In vielen Gemeinden entlang der von Dauerregen belasteten Flüsse in Süddeutschland könnte es am Samstag zu heftigen Überschwemmungen kommen. Auch wenn es in der Nacht zunächst keine großflächigen Überflutungen gab, wird vielerorts ein Jahrhunderthochwasser befürchtet. Besonders im Fokus steht dabei die Bodensee-Region: Wegen akuter Überflutungsgefahr wurde am Freitagabend rund 1300 Menschen in Meckenbeuren geraten, ihr Zuhause zu verlassen.
Die Lage habe sich ein wenig entspannt, sagte der Feuerwehrsprecher. Generell gehe man davon aus, dass die Pegelstände wieder etwas sinken könnten, da viel Wasser schon abgeflossen sei, etwa in den Bodensee. Eine Schule sei mit Sandsäcken gesichert worden, weil noch nicht klar sei, ob die Schussen an der Stelle überlaufen werde. Man beobachte die Lage.
Untergeschosse meiden
Nicht weit entfernt in Weingarten bei Ravensburg sprach die Stadt am Morgen auch von einer entspannteren Lage. Entwarnung könne man aber noch nicht geben, sagte eine Sprecherin. Bewohnern war am Freitagabend geraten worden, bei Verwandten und Freunden außerhalb der von steigenden Pegelständen gefährdeten Gebiete zu übernachten und Kellerräume und Untergeschosse zu meiden.
In Lindau am Bodensee wurden am Freitagabend bereits erste Straßen und Unterführungen überflutet und der Stadtbus-Verkehr musste eingestellt werden. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk waren im Dauereinsatz. Aus einem Mehrfamilienhaus mussten Bewohner evakuiert werden, da durch eingedrungenes Wasser die Möglichkeit eines Kurzschlusses bestand.
Landesgartenschau bleibt geschlossen
In Wangen im Allgäu war am Freitagabend Hochwasseralarm ausgelöst worden. Die Landesgartenschau bleibe aus Sicherheitsgründen am Samstag geschlossen, teilte eine Sprecherin der Stadt mit. »Es ist viel Wasser im Fluss, und es ist noch nicht klar, wie sich die Lage weiterentwickelt, denn es sind weitere Niederschläge in den nächsten Stunden angekündigt.« Der Pegelstand der Argen werde genau beobachtet, hieß es.
128 Liter Regen pro Quadratmeter binnen 24 Stunden
In Teilen Baden-Württembergs und Bayerns gilt für Samstag laut Deutschem Wetterdienst (DWD) vielerorts die höchste Warnstufe. Die Niederschlagsmengen in der Nacht entsprachen weitgehend den Prognosen. Im schwäbischen Sigmarszell im Landkreis Lindau fielen innerhalb eines Tages rund 128 Liter Regen pro Quadratmeter. In Ottobeuren im Landkreis Unterallgäu sowie in Wangen im Allgäu (Landkreis Ravensburg) waren es rund 108 Liter. In Kißlegg fielen rund 105 Liter, in Weiler-Simmerberg im Landkreis Lindau circa 104 Liter.
Keller unter Wasser, Katastrophenfall in Günzburg
Die dadurch anschwellenden Wasserstände der Flüsse lösen auch Sorgen weiter nördlich aus, etwa an der Donau sowie an deren weiterer Zuflüsse. Hier wird teils mit Überflutungen gerechnet, wie sie statistisch nur alle 50 bis 100 Jahre vorkommen.
Der Fluss Zusam im Landkreis Augsburg trat bereits über die Ufer, überspülte in der Marktgemeinde Fischach Straßen und flutete einige Keller. Es habe aber weder große Schäden noch Verletzte gegeben, teilte die Polizei am frühen Samstagmorgen mit. Die Zusam erreichte laut dem Hochwassernachrichtendienst Bayern am Pegel Fleinhausen in der Nacht die Meldestufe drei von vier.
»Wir nehmen die Situation sehr ernst«
Unweit davon rief am Freitagabend der Landkreis Günzburg den Katastrophenfall aus - vorbeugend. In der Region gehe es darum, die potenziell betroffenen Städte und Gemeinden besser unterstützen zu können, teilte das Landratsamt mit. Dafür seien Einsatzkräfte aus dem gesamten Landkreis nötig.
Camping- und Freizeitplätze an den Flüssen Günz, Kammel und Mindel sollten geräumt werden - hier dürften während der Pfingstferien viele Gäste des Freizeitparks Legoland verweilen. »Wir nehmen die Situation sehr ernst«, sagte Landrat Hans Reichhart (CSU) am Freitagabend. »Wir wollen, die Zeit, die wir jetzt noch haben, bis das Hochwasser den Landkreis Günzburg erreicht, optimal nutzen.«
Im Landkreis Biberach wurden Menschen in betroffenen Gebieten dazu aufgerufen, auf ihre Sicherheit zu achten. Dort bestehe potenziell Lebensgefahr. Sie sollten Notfallgepäck vorbereiten und die NINA-Warnapp auf das Smartphone laden, um zeitnahe Informationen zu erhalten - so eingestellt, dass bei einer Evakuierungsmeldung ein Alarm ertönt. »Dazu muss das Handy angeschaltet sein und darf sich nicht im Flugmodus befinden«, hieß es aus dem Landratsamt der besonders betroffenen Region Ravensburg.
Hochwasserrisiko auch in Hessen, Unwettergefahr in Ostdeutschland
Auch in anderen Regionen haben die Niederschläge die Wasserstände in Flüssen ansteigen lassen - und weitere Zuwächse werden erwartet. In Hessen ist laut dem regionalen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie ein statistisch nur alle 20 Jahre auftretendes Hochwasser an Rhein und Neckar möglich.
Im Osten Deutschlands müssen sich die Menschen laut DWD auf viel Regen, teils auch auf Gewitter einstellen. Allerdings treffe das Unwetter Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt voraussichtlich weniger stark als zunächst befürchtet.
© dpa-infocom, dpa:240531-99-233859/5