STUTTGART. Straftaten bei den anhaltenden Protesten gegen die Corona-Maßnahmen könnten nach Ansicht der baden-württembergischen Justizministerin Marion Gentges auch durch beschleunigte Verfahren abgeurteilt werden. »Das ist durchaus etwas, was wir im Blick haben, und ich könnte mir vorstellen, dass man das häufiger macht«, sagte die CDU-Politikerin mit Blick auf die Versammlungen, auf denen seit mehreren Wochen Tausende Menschen gegen Einschränkungen wie Kontaktbeschränkungen und Impfpflicht demonstrieren.
Staatsanwaltschaft und Polizeipräsidium seien zum Beispiel bereits im Vorfeld der Mannheimer Proteste in Kontakt darüber gewesen, dass beschleunigte Verfahren genutzt werden sollten, wo dies sinnvoll erscheine. Das Missachten der Maskenpflicht und der Abstandsregeln sowie die Teilnahme an einer verbotenen Versammlung gehörten als Ordnungswidrigkeiten aber nicht dazu.
Expressurteile kommen meist dann zum Zuge, wenn ein Täter auf frischer Tat ertappt wird, denn dann ist der Sachverhalt einfacher und die Beweislage klarer. Gentges will das Instrument der Justiz bereits im kommenden Jahr ausweiten. Werde der Haushaltsentwurf des Ministeriums an diesem Mittwoch genehmigt, würden beschleunigte Verfahren unabhängig von der Pandemie an vier weiteren Orten angeboten, sagte die Ministerin der Deutschen Presse-Agentur. Dort sollten je eine Stelle bei der Staatsanwaltschaft und eine weitere beim zuständigen Amtsgericht eingerichtet werden. Bislang ist dies nur in Mannheim, Freiburg und Stuttgart der Fall.
Mit den Urteilen am selben oder teils dem nächsten Tag will die Justiz vor allem den zeitraubenden und kostspieligen Ablauf bei kleineren Delikten umgehen. Schnelle Entscheidungen vor Gericht sollen nicht nur Staatsanwaltschaften und Gerichte, sondern auch Opfer, Zeugen und selbst die Täter entlasten. Nach dem Willen der Justiz soll die Strafe im Idealfall der Tat auf dem Fuße folgen.
Auch der SPD-Rechtsexperte Boris Weirauch hatte die Expressurteile zuletzt ins Spiel gebracht. Er zeigte sich mit der Ankündigung von Gentges zufrieden: »Der Rechtsstaat muss hier rote Linien ziehen und diese Leute schnell aburteilen«, sagte er. »Das hat Signalwirkung und ist die klare Antwort auf die zunehmende Gewaltbereitschaft der Corona-Extremisten.«
Seit Sommer vergangenen Jahres sind fast 250 beschleunigte Verfahren an den drei Modellstandorten verhandelt worden. Corona habe den Trend zuletzt gebremst, sagte Gentges. Zuletzt hatte es in der Zeit der Pandemie und nach Angaben des Ministeriums wieder weniger geeignete Fälle, weniger Kontakte und auch nur wenige Verhandlungen gegeben.
Nach den massiven Verstößen gegen die Corona-Auflagen in der Vergangenheit hatten sich am Wochenende erneut zahlreiche Gegnerinnen und Gegner der Corona-Maßnahmen in mehreren Kommunen versammelt. In Reutlingen waren am Samstagabend rund 1000 Menschen zusammengekommen - trotz eines kommunalen Versammlungsverbots. Nach Angaben des Innenministeriums begleiteten am Wochenende rund 2500 Polizeikräfte mehr als 50 Versammlungen zur Corona-Politik mit insgesamt rund 17 100 Teilnehmern. »Die allermeisten Versammlungen verliefen weitestgehend störungsfrei und friedlich«, teilte das Ministerium am Montag mit.
Gentges kündigte den Widerstand der Behörden gegen gewalttätige Demonstranten an. »Wir haben nicht vor zu kapitulieren vor dem, was da stattfindet«, sagte sie. Man müsse aber unterscheiden zwischen denen, die demonstrierten und dazu das gute Recht hätten, und denen, die die Grenze hin zur latenten Gewalt und Bedrohung überschritten, sagte die Ministerin. »Diese Menschen deutlicher in den Blick zu nehmen, hat seinen Sinn, denn da passiert ja auch etwas mit unserer Gesellschaft, dem man Einhalt gebieten muss.«
Die Meinungsäußerungen und die Kritik nähmen nicht nur an Schärfe zu, sondern auch an Aggressivität und Radikalität. »Es gibt eine unheimlich gefährliche Gemengelage, und die grundsätzliche Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten, ist deutlich gestiegen«, warnte Gentges. (dpa)