Logo
Aktuell Fußball

Im Ländle entwickelt: Tipp-Kick wird 100 Jahre alt

Der rote Knopf auf dem Kopf: Der Brettspielklassiker Tipp-Kick feiert im EM-Jahr sein 100-jähriges Firmenjubiläum.

Historische Ausgabe des Tipp-Kick-Spiels
Historische Ausgabe des Tipp-Kick-Spiels Foto: Sportregion Stuttgart / Benjamin Lau
Historische Ausgabe des Tipp-Kick-Spiels
Foto: Sportregion Stuttgart / Benjamin Lau

STUTTGART/SCHWENNINGEN. Für viele Jungs war es an verregneten Tagen in den Sommerferien die Rettung schlechthin. Ein Fußballspiel en miniature – bestehend aus je einem Kicker in einem gelb-schwarz Trikot und einem Kicker in einem rot-weißen Trikot. Dazu zwei Tore samt Torhüter »Toni«, nach dem legendären Weltmeister-Torhüter von 1954, Anton »Toni« Turek, benannt. Der kleine Ball ist eckig und bis zum Ende der Ölkrise ausschließlich schwarz-weiß, denn Farbe war teuer. Das grüne Spielfeld konnte man auf dem Tisch ausbreiten. Oder man lümmelte sich gleich auf den Teppich und legte das Feld aus Filz direkt auf den Boden. Von dort musste man die Bälle eh aufsammeln, wenn ein Schuss daneben ging.

Die Rede ist von Tipp Kick. Der Spieleklassiker mit den kleinen Zinkfiguren und dem markanten roten Knopf auf dem Kopf wird seit 100 Jahren von der Firma Mieg in Schwenningen hergestellt und erlebt dieses Jahr wegen der Fußball-Europameisterschaft wieder einmal eine Renaissance. Erfunden hatte das Spiel eigentlich Carl Mayer aus Stuttgart. Der Möbelfabrikant stellte hauptsächlich Apothekenmöbel her. Im September 1921 aber meldete er ein Fußballbrettspiel zum Patent an. Herzstück seiner Erfindung war eine Blechfigur mit einem beweglichen rechten Bein. Ein Druck auf den Kopf des Spielers sorgte dafür, dass der Ball aufs Tor gekickt wurde.

Tipp-Kick-Firmenchef Mathias Mieg mit einer Werbefigur
Tipp-Kick-Firmenchef Mathias Mieg mit einer Werbefigur Foto: Frank Schwaibold
Tipp-Kick-Firmenchef Mathias Mieg mit einer Werbefigur
Foto: Frank Schwaibold

Drei Jahre lang blieb das Spielzeug ohne größere Beachtung. Dann erwarb der junge Kaufmann Edwin Mieg aus Schwenningen vom Stuttgarter Erfinder die Rechte. »Carl Mayer konnte und wollte das Tipp Kick nicht selbst vermarkten«, erzählt Enkel Mathias Mieg, der das Familienunternehmen heute in dritter Generation führt. Sein Großvater Edwin gründete am Rande des Schwarzwalds eine Firma, in der seit 1924 das Spiel produziert und verkauft wird. Ein Jahr benötigte er, bis er die größten Schwachstellen beseitigt hatte. Die Blechmännchen waren für kräftige Schüsse nicht geeignet. Also goss er Figuren aus Blei und begann die Werbetrommel zu rühren. In Leipzig ließ er die Besucher der Spielwarenmesse eine Runde gratis spielen. Am Abend hatte Mieg den Auftrag eines Chemnitzer Kaufhauses über 100 Spiele in der Tasche.

Tipp-Kick

Ein Tipp-Kick-Spiel besteht aus zwei handbemalten Kickern aus Metall. Sie haben einen klassischen Rundfuß. Dazu kommen zwei Plastiktore und zwei Torhüter, die seit 1954 auf Knopfdruck nach links und rechts abtauchen können. Das Spielfeld hat die Größe 78,5 cm x 47,5 cm. Bei Wettkämpfen beträgt die Spielzeit 2 x 5 Minuten. Zum Schuss kommt immer der Spieler, dessen Farbe auf dem Ball oben liegt. (fs)

Die Blütezeit von Tipp Kick waren das WM-Jahr 1954 mit mehr als 180.000 verkauften Spielen und die 1970er Jahre, berichtet Mathias Mieg. Damals gab es noch viele Spielwarenhändler. Vor allem in der Weihnachtszeit boomte das Geschäft. Und Tipp Kick wurde im Lauf der Jahrzehnte immer individueller. Für viele Nationalmannschaften und Bundesligaklubs gibt es inzwischen Trikots in den passenden Vereinsfarben. Wobei sie in den seltensten Fällen das Vereinslogo auf der Brust tragen oder völlig identisch gestaltet sind. Die Lizenzen dafür sind für die Firma Mieg zu teuer. Nur der VfB Stuttgart und der DFB bilden eine Ausnahme.

Seit 2016 werden große Auflagen in China produziert

Die Renner sind die Kicker in den Trikots von Bayern München und Borussia Dortmund. Gleich danach folgt der VfB, sagt Mieg stolz und nicht ohne Lokalpatriotismus. Solche großen Serien werden aus Kostengründen seit 2016 in China produziert. In Schwenningen arbeiten noch vier Frauen und zwei Männer als Maler. Kleinere Auflagen – wie etwa für den FC Heidenheim oder Sonderbestellungen von Unternehmen mit Spielern in ihren Firmenfarben – werden in der Mieg-Zentrale fertig gestellt. Die Rohlinge kommen zwar ebenfalls aus China. Doch bunt werden sie erst im Werk in Schwenningen. »Man braucht eine ruhige Hand und viel Geduld, bis man die Männchen schnell und gut anmalen kann«, erklärt Mieg. Die Minijobber werden nach Stückzahl bezahlt. Also lohnt es sich für die Mitarbeiter, fix zu produzieren. Zuerst wird nur die Hose oder das Trikot bemalt. Das erste Teil muss dann etwa eine halbe Stunde trocknen, bevor das zweite Teil an der Reihe ist.

Man kommt sich näher: Harald Füßinger und Benjamin Buza vom TK Hirschland im Duell
Man kommt sich näher: Harald Füßinger und Benjamin Buza vom TK Hirschland im Duell Foto: Frank Schwaibold
Man kommt sich näher: Harald Füßinger und Benjamin Buza vom TK Hirschland im Duell
Foto: Frank Schwaibold

Inzwischen wird Tipp Kick vor allem über das Internet vertrieben. Deshalb ist auch das Geschäft im Ausland stark gewachsen. In Frankreich, Spanien und Italien hat die Firma »gute Umsätze«, so Mieg, und selbst in Japan gibt es ein Geschäft, das regelmäßig Tipp-Kick-Spiele einkauft. Noch wichtiger als das Auslandsgeschäft ist für Mieg das Werbeartikelgeschäft. Viele Firmen setzen gerne auf den Lieblingssport der Deutschen. In Jahren wie 2024 mit Großereignissen wie der EM läuft es besonders gut. Ein Grillhersteller beispielsweise hat dieses Jahr 20.000 Spiele gekauft. Wer sich diesen Sommer einen Grill gönnt, bekommt es gratis dazu.

Der erfolgreichste Verein kommt aus Baden-Württemberg

Die baden-württembergische Landesregierung wiederum hat eine kleine Menge geordert. Jede Nationalmannschaft, die in Stuttgart spielt oder in Baden-Württemberg ihr Quartier bezogen hat, erhält im Namen von Ministerpräsident Kretschmann drei Tipp-Kick-Spiele geschenkt. Ein Team trägt den Schriftzug »The Länd« auf der Brust, mit dem der Südwesten neuerdings für sich wirbt. Das andere Team trägt das jeweilige Nationaltrikot des teilnehmenden Landes. Auch das hat Tradition. Schon zur WM 2006 in Deutschland legte die Landesregierung eine eigene Edition auf. »Deutschlands schönste Fankurve«, hieß damals der von der Agentur Scholz and Friends ersonnene Slogan, und im Deckel des Spielkartons war der Südwesten in stilisierter Form abgebildet.

Profis schießen den eckigen Ball mit Spezialkickern übers Feld
Profis schießen den eckigen Ball mit Spezialkickern übers Feld Foto: Sportregion Stuttgart / Benjamin Lau
Profis schießen den eckigen Ball mit Spezialkickern übers Feld
Foto: Sportregion Stuttgart / Benjamin Lau

Etwa 40.000 Spiele verkauft Mieg pro Jahr. In Jahren einer EM oder WM sind es 60.000 oder mehr. Liegt der Umsatz normalerweise bei etwa einer Million Euro, so erwartet Mathias Mieg dieses Jahr rund 1,5 Millionen Euro. Zur weiteren Verbreitung könnte beitragen, dass Tipp Kick längst auch ein Wettkampfsport ist. Mit dem Tipp-Kick-Club 71 Hirschlanden sitzt der bundesweit mit Abstand erfolgreichste Verein im Landkreis Ludwigsburg. Profis wie der mehrfache Deutsche Meister Benjamin Buza setzen Spezialanfertigungen ein. Die Schussbeine sind mit speziellen Gleitlagern ausgestattet. Zudem variiert die Fußform – je nachdem, welche Schusstechnik den größten Erfolg verspricht. Für solche Einzelanfertigungen werden dann schon mal bis zu 200 Euro pro Männchen fällig. So tief muss ein Normalverbraucher nicht in die Tasche greifen. Das Jubiläumsspiel zum 100-jährigen Bestehen mit den klassischen Heim- und Auswärtstrikots des DFB aus den 1970er Jahren in weiß-schwarz und grün-weiß kann man schon für 50 Euro haben. (GEA)