KARLSRUHE. Als am 10. September um 17.58 Uhr dieses Jahres die Erde nordwestlich von Basel bebte, war das nicht nur im weiteren Umkreis spürbar. Das Beben wurde auch 160 Kilometer weiter nördlich aufmerksam beobachtet: Magnitude 4,6, Ereignistiefe 13 000 Meter. Und es war »natürlich«, erkannte Seismologe Stefan Baisch sofort am Wellendiagramm der Schwingungen. »Ein von einer Geothermie-Bohrung ausgelöstes Beben hätte andere Frequenzen und andere Wellen.« Das seismische Monitoring ist wichtig zur Steuerung der im Bau befindlichen Erdwärme-Anlage Graben-Neudorf (Kreis Karlsruhe) - und auch für die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Denn Risse in Häusern im südbadischen Staufen oder im schwäbischen Böblingen, Erdbeben in der Schweiz und im Elsass nach Bohrungen haben den Ruf der Geothermie nach anfänglicher Euphorie ramponiert. »Alle Technologien bergen ein Restrisiko«, räumt Ron Zippelius ein, der Sprecher des Geothermie-Spezialisten Deutsche Erdwärme. Sechs laufende Anlagen am Oberrhein, davon drei auf deutscher Seite in Bruchsal, Insheim und Landau, sowie rund 40 weitere in Deutschland sind für ihn der Beweis, dass ein störungsfreier Betrieb möglich und normal ist.
Weiterentwicklung der Erdwärme-Technik
»Die Geothermie hat sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt«, betont Zippelius. Die Sicherheit sei in allen Bereichen verbessert worden. Risiken könnten minimiert werden; etwa durch eine genaue Untersuchung des Bodens. Und durch ein Monitoring, wie es Seismologe Baisch aus Bad Bergzabern für das am weitesten fortgeschrittene Projekt der Deutschen Erdwärme in Graben-Neudorf macht. Dort überwachen Seismometer im Umkreis das Bohrloch.
Ob Wärme, Strom oder der für Batterien begehrte Rohstoff Lithium - ist es angesichts der Energiesorgen durch den Ukraine-Krieg an der Zeit, das Potenzial der Geothermie auszuschöpfen? Das Bundeswirtschaftsministerium kündigte gerade an, einen Konsultationsprozess zur besseren Nutzung von Erdwärme zu starten. Das große Potenzial für eine klimaneutrale Wärmeversorgung sei in Deutschland bislang nur unzureichend erschlossen. Derzeit deckt sie nur etwa ein Prozent des Wärmebedarfs in Deutschland ab. Nach Studien von Fraunhofer- und Helmholtz-Forschern hätte tiefe Geothermie das Potenzial, ein Viertel des deutschen Wärmebedarfs zu decken.
Der Oberrheingraben zwischen Mannheim und Basel gilt als besonders lohnend für Geothermie-Bohrungen. Doch in einem Gebiet, das schon für sein natürliches Erdbebenrisiko bekannt ist, ist die Skepsis groß. So lösten Bohrungen ins Grundgestein Ende 2006 in Basel ein Erdbeben mit der Stärke 3,4 aus, vor zwei Jahren bebte die Erde wiederholt nach einer Bohrung in Vendenheim bei Straßburg.
»In Vendenheim hat man direkt in das Grundgebirge gebohrt, Wasser mit hohem Druck hinein gepresst und damit Erdbeben ausgelöst«, erläutert das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau. Das zwischenzeitlich gestoppte elsässische Projekt sei nicht mit Vorhaben auf deutscher Seite vergleichbar. Die Behörde verweist auf umfangreiche Genehmigungsverfahren und notwendige vorherige Bodenuntersuchungen für Tiefengeothermie hierzulande. »Die seismische Aktivierung tektonischer Störungen muss ausgeschlossen werden.« Für jede Bohrung verbindlich ist ein Ampelsystem wie in Graben-Neudorf, das für die Abschaltung der Anlage sorgt, bevor spürbare Erdbeben entstehen.
Bürgerinitiativen sind dagegen
Thomas Hans von der Bürgerinitiative gegen Tiefengeothermie in Karlsruhe überzeugt das nicht. Auch in Vendenheim habe es ein Ampelsystem gegeben. »Es hat nicht funktioniert, anscheinend kennt der Untergrund die Ampelfarben nicht.« Eine Reihe von Initiativen wollen Bohrungen verhindern, auch in Gemeinden gibt es Widerstand. Allein in der Ortenau hätten etwa zehn Orte Geothermie-Pläne eines Unternehmens abgelehnt, so Hans. Ängste gibt es wegen möglicher Schäden an Häusern und dass das Grundwasser gefährdet wird.
Es sind vor allem Fehler und Pfusch, die für einen schlechten Ruf gesorgt haben. Während bei der Tiefengeothermie in Vendenheim das Ampelsystem schlicht ignoriert worden sein soll, führten in Staufen und Böblingen missglückte Bohrungen oberflächennaher Geothermie zu starken Schäden. Für Schlagzeilen sorgte vor allem Staufen: Rund 270 Häuser sind beschädigt, zwei mussten abgerissen werden, der Schaden wird auf mehr als 50 Millionen Euro geschätzt.
Nachdem Bohrsonden dort eine Erdschicht getroffen hatten, die sich mit Grundwasser in Gips verwandelt, hebt sich seit September 2007 der Untergrund in dem 8100-Einwohner-Ort: anfangs monatlich um elf Millimeter, nun um einen Millimeter. Rund um die Uhr muss Grundwasser aus dem Boden gepumpt werden, um die Gipsbildung zu verringern. Ein Ende des Abpumpens ist nicht in Sicht.
»Es ist eine Zeitlupenkatastrophe«, sagt Bürgermeister Michael Benitz (Freie Wähler). »Das Schadensbild hat sich verlangsamt, aber die Hebungen sind dennoch nicht ganz abgeklungen.« Gerade hat der Rathauschef in seinem Büro wieder zwei neue Risse entdeckt.
Für die grün-schwarze Landesregierung ist Erdwärme eine wichtige erneuerbare Energiequelle. Vor allem auf Wärme und Strom aus der Tiefe hofft das Land. Dass im tiefen Thermalwasser auch Lithium vorkommt, macht Bohrungen zusätzlich interessant.
Positive Beispiele, die seit Jahrzehnten funktionieren
Bei Projekten tiefer Geothermie - mindestens 400 Meter unter der Erde - habe es bisher in Baden-Württemberg keine Schäden gegeben, betont das Umweltministerium. »Wir gehen davon aus, dass sich Tiefengeothermie am Oberrhein sicher gewinnen lässt«, sagt eine Sprecherin des Regierungspräsidiums Freiburg. Im dort angesiedelten Landesamt für Geologie ist man überzeugt, dass sich Widerstände auflösen, wenn Geothermieanlagen im Land reibungslos laufen.
Ein Beispiel für funktionierende Tiefengeothermie auch in einer erdbebengefährdeten Region ist für Seismologe Baisch die Anlage Riehen, die die Gemeinde bei Basel seit 1994 mit Erdwärme versorgt.
Wenn der Untergrund gefahrlos angezapft werden könnte, fände das auch Staufens Bürgermeister gut. Für seinen Ort sei das Thema allerdings erledigt. »Es sind zu viele negative Gefühle damit verbunden«, sagt Benitz. Staufen setzt nun auf Energiesparen, den Ausbau der Nahwärme mit Holzhackschnitzeln und Sonnenenergie. Ein Start-up hat gerade für die große Photovoltaik-Kampagne im Ort alle Dachflächen untersucht. (dpa)