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Aktuell Kriminalität

Folterkammer im Dornröschengarten

Ein Streit im Drogenmilieu wird im Stuttgarter Stadtteil Kaltental zu einem Gruselstück

Verwildert und vermüllt: In diese Gartenhütte in Kaltental wurde ein 20-Jähriger verschleppt und gefoltert.  FOTO: OBST
Verwildert und vermüllt: In diese Gartenhütte in Kaltental wurde ein 20-Jähriger verschleppt und gefoltert. FOTO: OBST
Verwildert und vermüllt: In diese Gartenhütte in Kaltental wurde ein 20-Jähriger verschleppt und gefoltert. FOTO: OBST

STUTTGART. Ein Mann, dessen Kopf mehrfach mit Panzerklebeband umwickelt ist, klingelt eine Anwohnerin am Ortsrand von Kaltental aus dem Schlaf. Es ist 4.45 Uhr an jenem Dreikönigstag 2024, und die Frau wagt es in dieser Situation nicht, die Tür aufzumachen. Als sie vorsichtig aus dem Fenster schaut, sieht sie einen offenbar verängstigten Unbekannten »mit seltsamer dicker Felljacke«, der schon wieder weiter huscht, zu den nächsten Häusern. Es handelt sich um ein Entführungsopfer, das ein vierstündiges Martyrium hinter sich hat.

Im Prozess im Stuttgarter Landgericht beleuchtet die 14. Jugendstrafkammer einen Teil der Befunde der Polizei zu dem Fall von erpresserischem Menschenraub, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung. Vier Männer im Alter zwischen 20 und 27 Jahren sind angeklagt, am 6. Januar 2024 einen 20-Jährigen zunächst in Vaihingen geschlagen und entführt, später in einer Gartenhütte am Ortsrand von Kaltental gefesselt und gefoltert zu haben. Hintergrund soll ein Streit im Drogenmilieu gewesen sein.

Klebeband um den Kopf

Der verzweifelt klingelnde Mann ist von Überwachungskameras dokumentiert, die es vereinzelt auf gewerblichen Arealen gibt. Welches Schreckensszenario der damals 20-Jährige in jener Nacht durchlebt haben muss, darüber berichtet eine 34-jährige Beamtin der Kriminaltechnik als Zeugin. Fotos zeigen einen jungen Mann, den Kopf mit Klebeband umwickelt, darunter Verletzungen, Augen, Augenbrauen, Nase und Lippen von Schlägen geschwollen, Finger mit einem spitzen Gegenstand geritzt, der Oberkörper mit breiten Hämatomen, offenbar von einer Holzlatte, Rötungen und Schürfwunden bis hinunter zum Knie.

Der Tatort liegt abgelegen in einem umzäunten Gartengrundstück im Elsental, völlig verwildert, von Efeu und Moos erobert, Unrat und Müll bilden an einem tristen Januartag die einzigen bunten Tupfer. Die Spurensicherung entdeckt, nicht weit von der Buswendeschleife der Haltestelle Waldeck entfernt, in diesem Dornröschengarten nicht nur »alte Küchenschränke und ein verwahrlostes Klo«, wie die Polizistin berichtet, sondern auch eine »relativ frische« Stofftasche mit Wodkaflaschen, Säften und Wasser. Und vor allem die mutmaßliche Folterkammer.

In einem Teil der verwitterten Hütte findet sich hinter einer Tür ein kleiner Raum. Gerade mal zwei Gartenliegen passen nebeneinander hinein, dazu »Unrat, alte Kleidung, Decken«, sagt die Polizistin. An einem der Liegestühle werden Reste von Panzerklebeband gefunden – hier war der 20-Jährige offenbar gefesselt worden. Für die Spurensicherung dankbare Hinterlassenschaften. Offenbar gab es DNA-Treffer an Kleberesten und an Trinkbechern. Offenbar macht man hier gerne illegal ungestört Party. Zumindest einer der vier Angeklagten, ein 23-Jähriger, soll den Geheimtipp gekannt und den Ort vorgeschlagen haben. Sein Handy, sagt eine Oberkommissar-Anwärterin, die mit der Auswertung der Mobiltelefone der Verdächtigen betraut war, sei in die Funkzelle eingeloggt gewesen.

Die Polizei musste in diesem Fall nicht lange im Dunkeln tappen. Ein zunächst Beschuldigter, den ein 32-jähriger Polizeioberkommissar aufsucht, entpuppt sich ebenfalls als Geschädigter. Er sei Begleiter des 20-Jährigen gewesen und habe in Vaihingen ebenfalls »abknien« müssen. Ihn hätten die Angreifer aber nach dieser Demutsgeste wieder freigelassen. Die Gruppe habe den Opfern vorgeworfen, Geld gestohlen zu haben.

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass es in dem Streit um zehn Kilo Marihuana im Wert von 50.000 bis 60.000 Euro ging. Der 27-Jährige habe dem 20-Jährigen den Diebstahl vorgeworfen und bei der nächtlichen Aktion Schadenersatz erpressen wollen. Der als Drahtzieher beschuldigte 27-Jährige ließ zwischenzeitlich erklären, dass er durch den Diebstahl selbst in die Schuldenbredouille geraten sei und im Drogen- und Alkoholrausch gehandelt habe. (GEA)