ALBSTADT. Rund 2.500 Kilometer trennen Dela von ihrer Familie – unfreiwillig. Bis Mitte August lebte die 21-Jährige mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in Ebingen. Doch seit knapp drei Monaten sitzt sie in Madrid fest, ihre Familie kann sie nur noch über das Display ihres Handys sehen.
Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, muss man bis an den Anfang ihrer Teenagerjahre zurück. Dela hat gerade ihren 13. Geburtstag gefeiert, da sieht ihre Mutter keinen anderen Ausweg, als mit ihr und ihren Geschwistern ihr Heimatland Syrien zu verlassen und in die Türkei zu fliehen. Krieg und eine durch den Vater eingefädelte Zwangsheirat von Dela hatten ihrer Mutter keine Wahl gelassen, erzählt die 21-Jährige.
Fünf Jahre lebt die Familie in der Türkei, bis es 2021 zur Umsiedlung nach Spanien kommt. »Dort haben wir einen Asylantrag gestellt, der auch angenommen wurde«, erinnert sich Dela. Alle Familienmitglieder erhielten einen subsidiären Schutzstatus.
Ins Gesicht geschlagen
Doch Schutz habe die junge Frau in Spanien nicht erlebt. Eine Sozialarbeiterin sei immer wieder handgreiflich geworden, erzählt sie. »Mein 5-jähriger Bruder wurde von einer spanischen Mitarbeiterin dreimal ins Gesicht geschlagen«, so die 21-Jährige. Zudem soll sie mehrfach versucht haben, Dela ihr Kopftuch vom Kopf zu ziehen.
Eine Strafanzeige bei den spanischen Behörden sowie Chatverläufe mit besagter Sozialarbeiterin unterstreichen die Erzählungen der 21-Jährigen zwar, zweifelsfrei nachweisen lassen sie sich aber nicht. Für Dela und ihre Familie waren sie jedoch ausschlaggebend, gut ein Jahr nach ihrer Ankunft in Spanien nach Deutschland weiterzureisen – das Land, in das sie von vornherein am liebsten wollten. Wieder stellte die gesamte Familie einen Asylantrag.
»Hier habe ich endlich die Möglichkeit bekommen, meinen Traum zu verwirklichen«, erinnert sich die junge Frau. Ihr simpler Wunsch: ein »normales« Leben. Denn in Spanien habe sie keinen Zugang zu Bildung erhalten, in der Türkei musste sie zwölf Stunden am Tag arbeiten. Nach ihrer Ankunft in Deutschland habe sie sich daher umso mehr ins Zeug gelegt, betont sie.
Hilfe für andere Migranten
»Nach elf Jahren komplett ohne Bildung habe ich am DAA-Institut begonnen Deutsch zu lernen«, so die 21-Jährige. Schnell wird sie Klassenbeste. Heute – nur zwei Jahre später – spricht sie die Sprache nahezu fließend. Um auch beruflich voranzukommen, besuchte Dela in Albstadt eine Abendrealschule. »Ich wollte Altenpflegerin werden«, erklärt sie. Als freiwillige Dolmetscherin unterstützte sie darüber hinaus andere Migrantinnen und Migranten bei sprachlichen Hürden.
Doch dann die ernüchternde Nachricht: Delas Asylantrag in Deutschland wurde abgelehnt. Der Grund war das bereits abgeschlossene Asylverfahren in Spanien, wodurch Deutschland rechtlich gesehen nicht mehr für sie »zuständig« war. Am 12. August wurde sie daher in das südeuropäische Land rückgeführt – als bislang einzige aus ihrer Familie. Die von Dela vorgebrachten, negativen Erfahrungen mit der spanischen Sozialarbeiterin reichten nicht aus, um eine Abschiebung abzuwenden.
»Dass zum Nachteil der Antragstellerin insbesondere bei zwei beziehungsweise gegebenenfalls auch drei Gelegenheiten bedrohliche beziehungsweise physische Vorfälle erfolgt sein sollen, vermag weder das System Spaniens insgesamt infrage zu stellen, noch lässt sich hieraus ableiten, dass sie im Falle einer Rücküberstellung erneut just mit jener Sozialarbeiterin konfrontiert würde und dieselben Probleme abermals auftreten würden«, heißt es in einer Begründung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen.
Antrag intensiv geprüft
Dass die Zahl an Abschiebungen in den vergangenen Monaten deutschlandweit anstieg, hat laut der Albstädter Stadtverwaltung keinen Einfluss auf Delas Fall. »Ihr Antrag wurde genau wie jeder andere intensiv geprüft«, versichert Stadtsprecherin Mona Lehmann. »Ihre Rückführung hat nichts mit – ich sage es jetzt mal ganz platt – irgendwelchen Quoten zu tun.« Die Entscheidungen zu den Asylanträgen ihrer Mutter und ihrer Geschwister stehen noch aus.
Dass Dela nun von ihnen getrennt lebt, hat besonders für ihre schwer kranke Mutter fatale Folgen. Diabetes, eine Nervenschwäche und eine Augenerkrankung machen Arztbesuche für sie unausweichlich. Doch die gestalten sich schwierig, seit die 21-Jährige das Land verlassen musste. Der Gesundheitszustand ihrer Mutter habe sich deutlich verschlechtert, berichtet Dela. »Ich habe für meine Mutter bei den Arztbesuchen immer gedolmetscht«, so die 21-Jährige.
RECHTLICHER HINTERGRUND
Laut deutschem Recht ist ein Asylantrag hierzulande unzulässig, wenn Geflüchtete bereits in einem anderen EU-Mitgliedsstaat internationalen Schutz erhalten haben. Vorausgesetzt, dem Geflüchteten drohen in dem Land, in das er rückgeführt werden soll, keine Menschenrechtsverletzung, muss der Antrag nicht inhaltlich geprüft werden. Dies ist bei einer Rückführung nach Spanien der Fall.
Auch zu Hause habe sie sich um sie gekümmert, da ihre Geschwister alle jünger seien als sie. Die jetzige Situation sei für Dela daher unerträglich, stellt sie klar. Eine zweieinhalbjährige Einreisesperre hindert sie aktuell allerdings daran, auch nur vorübergehend noch einmal nach Deutschland zu reisen, um nach ihrer Mutter zu sehen.
Hilfe bekommt Dela unterdessen vom Asylzentrum Tübingen. Eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte, erklärt: »Es ist zwar theoretisch möglich, die Einreisesperre zu verkürzen, aber das ist enorm schwierig.« Nur in bestimmten Härtefällen sei dies überhaupt denkbar und ob Delas Schicksal darunter falle, sei unklar. Inzwischen habe die 21-Jährige aber einen Anwalt an ihrer Seite.
Kaum Perspektive in Spanien
Denn ihr Wunsch von einem Leben in Deutschland bleibt bestehen. Auch, weil sie in Spanien kaum eine Perspektive habe, meint die Mitarbeiterin des Asylzentrums. Da Dela mangels eines Sprachkursangebots kaum Spanisch spreche, sei es für sie äußerst schwierig, eine Arbeitsstelle zu finden. Doch diese sei so gut wie unerlässlich, um eine Wohnung mieten zu können. Noch wohnt die 21-Jährige mit einer Bekannten zusammen, über kurz oder lang droht ihr aber die Obdachlosigkeit. »Und sie hat es in Deutschland ja bewiesen, wie fleißig sie ist, wenn man ihr die Möglichkeit gibt«, so die Mitarbeiterin.
Daher setze sie alles daran, Dela zu einer Wiedereinreise nach Deutschland zu verhelfen: »Die einzige Möglichkeit, die mir einfällt, ist über ein Visum für eine Ausbildung«, erklärt sie. Doch ein solches zu erhalten, sei – gleich wie bei der Eindämmung der Einreisesperre – enorm schwierig und langwierig. Für die Mitarbeiterin des Asylzentrums steht daher fest: »Sie war hier bestens integriert und wollte einen Beruf ausüben, bei dem es einen so großen Fachkräftemangel gibt. Ich halte es für einen Fehler, so fleißige Menschen abzuschieben«. (GEA)