STUTTGART. Für viele Narren im Südwesten ist die Fastnacht die schönste Zeit im Jahr: Das Brauchtum leben, ausgelassen feiern, alltägliche Sorgen einfach mal zu Hause lassen. Doch die Corona-Pandemie wirft schon jetzt ihre Schatten auf die kommende Fünfte Jahreszeit. Kann es trotz Krise eine Fastnacht und einen Karneval geben? Aus Sicht der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) ist es für eine Entscheidung darüber noch zu früh. Doch es gibt auch andere Stimmen.
Die VSAN werde Ende September über die Fünfte Jahreszeit entscheiden, sagte Präsident Roland Wehrle am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Er betonte aber: Auch danach könne sich an der Bewertung noch etwas ändern. »Die Situation ist dynamisch.« Es gelte, abzuwägen zwischen der Verantwortung für die Narren und ihren Besuchern auf der einen Seite, aber auch dem Bedürfnis, sich zu begegnen und gemeinsam Fastnacht zu feiern.
Zudem müsse man unterscheiden zwischen großen Veranstaltungen wie Bällen oder Straßenumzügen mit Tausenden Besuchern und kleineren Bräuchen etwa in der Dorffastnacht, sagte Wehrle weiter. Je nach Corona-Lage im kommenden Jahr seien beispielsweise Aktionen in den Schulen oder Kindergärten oder überschaubare Veranstaltungen von einzelnen Zünften durchaus denkbar.
Aus der Politik kommen dagegen andere Stimmen: So hatte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zuvor wegen der Corona-Pandemie skeptisch dazu geäußert, ob im kommenden Winter Karneval oder Fastnacht stattfinden könne.
Auch Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha kann sich eine Straßenfastnacht angesichts von Corona nicht vorstellen. »Die Fasnet, die wir alle kennen, mit rumjucken, anbusserln, Glühwein trinken - die seh' ich aktuell nicht«, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch. »Das funktioniert während einer globalen Pandemie und in Zeiten steigender Infektionszahlen leider nicht.«
Es sei schade, dass die Politik meine, von oben herab irgendetwas festlegen zu müssen, sagte dagegen VSAN-Präsident Wehrle. Ihr stehe es in dieser Form ohnehin nicht zu, die Fastnacht abzusagen. »Ich möchte Herrn Spahn ein Zitat von Johann Wolfgang von Goethe ins Gedächtnis rufen: Der Karneval - und damit auch die Fastnacht - ist ein Fest, das dem Volke nicht gegeben wird, sondern das sich das Volk selbst gibt.«
Auch beim Stockacher Narrengericht hält man eine Entscheidung derzeit noch für zu früh. »Wir verfolgen das Thema und machen uns natürlich Gedanken dazu, was im Frühjahr sein kann«, sagte der Narrenrichter und Sprecher der Zunft, Jürgen Koterzyna. »Aber wir wollen erst einmal die Urlaubsrückreise und die Entwickung im Herbst abwarten und dann sehen, was geht und was nicht. Pauschal zu sagen «Die Fastnacht fällt aus», dem stimmen wir nicht zu. Aber wissen auch, dass wir mit Rücksicht auf die Gesamtgesellschaft keine Fastnacht machen können, als gäbe es kein Corona.«
Das mehr als 600 Jahre alte »Hohe Grobgünstige Narrengericht zu Stocken« gehört zu den Höhepunkten der schwäbisch-alemannischen Fastnacht im Südwesten. Auf der Anklagebank der Institution saßen bereits Franz Josef Strauß (CSU) und Angela Merkel (CDU), mehr als tausend Zuschauer verfolgen das Spektakel jedes Jahr. Bei solchen großen Veranstaltungen sei noch alles offen, sagte Koterzyna weiter. Fastnacht sei jedoch vielfältig: Sie könne auch im Kleinen ausgelebt werden. »Da wird es sicherlich kreative Lösungen geben.«
Andere Zünfte und Vereine sind dagegen skeptischer - auch im Karneval gibt es bereits erste Absagen für die Saison 2021. So hatte beispielsweise die Karneval-Kommission in Mannheim schon im Juni entschieden, dass es kein Prinzenpaar geben werde. »Da müssten wir jetzt schon in die Planung, das könnte keiner verantworten«, sagte Präsident Thomas Dörner damals. Auch die Große Karnevalsgesellschaft Rastatt hat bereits beschlossen, 2021 keine Kampagne anzubieten. (dpa)