STUTTGART. Das Du erobert deutsche Firmen. Der Chef wird geduzt, die Kollegen sowieso. Sogar in traditionsbewussten Branchen wie der öffentlichen Verwaltung. Das Du liegt im Trend, ist Teil der neuen Lockerheit und vereinfacht die Teamarbeit. Doch nicht jedem passt so viel Nähe, manche Aufgaben fallen dadurch schwerer, zum Beispiel Konflikt-Gespräche zwischen Chef und Mitarbeiter. Was es mit der modernen Firmenkultur auf sich hat, erklärt die Stuttgarter Wirtschaftsexpertin Birgit Renzl im GEA-Interview.
GEA: Wo duzt man sich?
Birgit Renzl: Duzen kommt aus der Computer-Branche. Dort gibt es viele Start-ups, die Software entwickeln. Dabei wird oft in befristeten Projekten gearbeitet. Die Teams sind klein. Beteiligt sind Mitarbeiter, aber auch Führungskräfte. Ziel ist ein intensiver, offener Austausch. Dafür muss die Hierarchie flach sein. Das soll erreicht werden durch das Du. Mit den Softwareentwicklern hat auch das Du Einzug gehalten in andere Wirtschaftsbereiche, zum Beispiel in die Automobilindustrie. Dort wird aber nicht im ganzen Konzern geduzt, sondern anfangs nur in einzelnen Abteilungen. Der flexible Arbeitsstil, wie er typisch ist für die Informationstechnik, wird in anderen Wirtschaftszweigen übernommen. Nur so lässt sich Schritt halten mit der schnelllebigen Entwicklung des Fachbereichs. Also werden auch dort Projektteams eingesetzt – und mit ihnen das Du.
Ein weiterer Faktor ist die Internationalisierung: Wo Geschäftsbeziehungen ins Ausland gepflegt, berufliche Reisen ins Ausland unternommen und Mitarbeiter aus dem Ausland beschäftigt werden, da wird meist Englisch gesprochen. Im Englischen gibt es nur das Du, im angelsächsischen Raum werden auch Vorgesetzte mit dem Vornamen angesprochen. Das wird dann im Deutschen übernommen. Das Du ist selbst in hierarchisch geprägten Branchen, wo klassischerweise gesiezt wird, auf dem Vormarsch. Das betrifft etwa öffentlichen Dienst, Bankenwesen und Metallindustrie.
Liegt Duzen im Trend?
Renzl: In deutschen Firmen breitet das Du sich seit der Jahrtausendwende aus. Eine Umfrage des Berufsnetzwerks LinkedIn ergab, dass zwei Drittel der Befragten ihre Kolleginnen und Kollegen duzen und ihre Vorgesetzten häufig auch. Das Du ist Teil einer veränderten Firmenkultur. Ich möchte sie »neue Lockerheit« nennen. Sie zeigt sich auch in anderen Dingen. Zum Beispiel im legeren Dresscode: Anzug und Krawatte sind out, Jeans und Sneakers sind in. Auch die Büros sind anders: Arbeitsplätze werden häufig von verschiedenen Beschäftigten auf Zeit genutzt – jeder setzt sich dorthin, wo gerade frei ist. Der Kulturwandel in der Wirtschaft geht einher mit dem Wertewandel in der Gesellschaft. Dort wird klassischen Statussymbolen ein geringerer Wert beigemessen. Die Millennials wollen keinen Firmenwagen.
Was bringt das Du?
Renzl: Das Du steht für Nähe und Freundschaft, für Kommunikation auf Augenhöhe und partnerschaftliche Zusammenarbeit. Im Gegensatz zum Sie: Das steht für Distanz, Respekt, Hierarchie und Befehlskette. Das Du soll die Arbeit im Team erleichtern. Denn es schafft Vertrauen. Nur so teilen Mitglieder Wissensvorteile miteinander und gestehen einander Fehler ein. Denn sie wollen ihr gemeinsames Projekt voranbringen. Erfolg hat nicht mehr einer – sondern alle oder keiner.
Gibt es auch Probleme?
Renzl: Das Du bringt Vorgesetzte in einen Rollenkonflikt: Einerseits sind sie jetzt Teil des Teams. Andererseits müssen sie weiterhin harte Entscheidungen treffen und konfliktträchtige Gespräche führen. Das fällt schwer, denn durch das Du gehen Distanz und Autorität verloren. Umso wichtiger ist es, dass Vorgesetzte sich ihre verschiedenen Rollen bewusst machen. Und dass sie einen neuen Führungsstil entwickeln: Beteiligung statt Alleingang, Verhandlung statt Ansage, Kompromiss statt Durchmarsch. Aber auch für Mitarbeiter kann das Du zu Konflikten führen. Nämlich dann, wenn die Grenze zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmt. Es gibt Firmen, die bieten ihren Angestellten nicht nur Arbeit, sondern auch Verpflegung, Transport, Freizeit, Wohnung und Schule. Die Firma beschränkt sich nicht auf den Job, sondern dehnt sich aus in weitere Lebensbereiche. Sie will nicht nur die Arbeitskraft, sondern den ganzen Menschen. Wenn das läuft, kann es gut sein. Aber wenn diese Menschen den Job verlieren, dann verlieren sie alles.
Duzen oder siezen: Was raten SieFirmen?
Renzl: Jede Firma muss ihren eigenen Weg finden. Wenn sie sich für das Du entscheidet, dann muss es authentisch sein. Ein Kulturwandel braucht Zeit. (GEA)
ZUR PERSON
Birgit Renzl ist seit 2015 Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Organisation an der Universität Stuttgart. Davor war die gebürtige Österreicherin an der Universität Innsbruck und als Professorin für Strategie & Organisation an der Privatuniversität Schloss Seeburg tätig. Renzls Schwerpunkte liegen im Bereich Veränderung und Führung. Im Fokus stehen die Organisation von Wissen und Innovation in Unternehmen, die Entwicklung von Strategien der digitalen und nachhaltigen Transformation und die damit einhergehenden veränderten Führungsrollen. Ziel ist es, Flexibilität, Effizienz und Innovationsfähigkeit von Organisationen zu erhöhen. (mis)