REUTLINGEN. Zu den Kernaufgaben des Staates gehört es, seinen Bürgern persönlichen Schutz und Sicherheit zu garantieren. Entsprechend steht das Thema »Innere Sicherheit« in der politischen Agenda der Bevölkerung in aller Regel auf Spitzenplätzen. Dies gilt nicht nur für die bundespolitische, sondern besonders auch für die landespolitische Agenda. Denn inwieweit sich die Bürger tatsächlich sicher fühlen, hängt zumeist von der Einschätzung der Situation im Nahbereich ab. In der aktuellen Untersuchung des Baden-Württemberg-Monitors der badenwürttembergischen Zeitungsverlage wurde ermittelt, wie sicher sich die Bürger im Land fühlen, inwieweit sich die Sicherheitslage in der näheren Umgebung in den letzten Jahren verbessert oder verschlechtert hat, vor welchen Delikten die Bevölkerung die größten Ängste hat und welche Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung sie unterstützt. Die Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach stützt sich auf 1.010 Online-Interviews mit einem repräsentativen Querschnitt der baden-württembergischen Bevölkerung ab 18 Jahre. Die Interviews wurden vom 8. bis 21. Januar 2021 durchgeführt.
Nur wenig Sorge um die Sicherheit vor Ort
Die große Mehrheit der Bevölkerung in Baden-Württemberg fühlt sich am eigenen Wohnort sicher: 86 Prozent der Bürger in Baden-Württemberg schätzen ihren eigenen Wohnort als sehr sicher oder sicher ein. Nur 12 Prozent fühlen sich in der Gegend, in der sie wohnen, weniger oder gar nicht sicher. Dabei fällt die Bilanz in den Großstädten des Landes nicht wesentlich anders aus als in den ländlichen Regionen Baden-Württembergs.
Trotz des insgesamt sehr schwachen persönlichen Bedrohungsgefühls hat mehr als jeder Vierte den Eindruck, dass sich am eigenen Ort, in der näheren Umgebung die Sicherheitslage in den letzten fünf Jahren verschlechtert hat. Nur jeder Zehnte sieht eine Verbesserung der Sicherheitslage, die Mehrheit sieht keine gravierenden Veränderungen. Die Bewohner der großen und mittleren Städte bilanzieren die Entwicklung in ihrer Umgebung dabei deutlich kritischer als die Bewohner des ländlichen Raums. So hat knapp jeder dritte Bewohner einer Großstadt oder einer Stadt mit 20.000 bis 100.000 Einwohnern den Eindruck, dass es heute am eigenen Wohnort unsicherer ist als vor fünf Jahren. Von denjenigen, die in Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern leben, hat hingegen nur jeder Fünfte diesen Eindruck.
In den größeren und mittleren Städten Baden-Württembergs spielen auch No-go-Areas eine weitaus größere Rolle als in kleineren Städten und Gemeinden. In den Großstädten berichten 46 Prozent davon, dass es bei ihnen in der Nähe ein Gebiet gibt, durch das sie nachts nicht alleine gehen möchten, in den Städten mittlerer Größe sind es 43 Prozent, in den Dörfern hingegen nicht einmal halb so viele. Insgesamt können 37 Prozent der baden-württembergischen Bevölkerung ein Gebiet in ihrer Nähe benennen, in dem sie nachts nicht alleine unterwegs sein möchten. Überdurchschnittlich besorgt zeigt sich die weibliche Bevölkerung: 47 Prozent der Frauen, aber nur 28 Prozent der Männer wissen von No-go-Areas in ihrer Wohngegend zu berichten.
Bedrohung durch Verbrechen
Trotz des insgesamt hohen Sicherheitsgefühls ist die Sorge, persönlich durch Kriminalität gefährdet zu sein, relativ weit verbreitet: Vier von zehn Baden Württembergern machen sich derzeit Sorgen, sie könnten Opfer eines Verbrechens werden. Allerdings fühlt sich nur eine kleine Minderheit akut bedroht. Überdurchschnittlich besorgt sind Großstadtbewohner und Frauen. 36 Prozent der Männer, aber 45 Prozent der Frauen fürchten, Opfer eines Verbrechens zu werden. Generell gilt, dass Frauen sich weniger sicher fühlen als Männer.
Frauen sorgen sich überdurchschnittlich vor körperlichen Angriffen und davor, Opfer von Mobbing oder Stalking zu werden. Besonders weit verbreitet ist bei Frauen die Angst vor sexueller Belästigung: Fast jede dritte Frau äußert die Sorge, sie könnte sexuell belästigt werden.
Insgesamt überwiegt in der baden-württembergischen Bevölkerung die Furcht vor Einbrüchen und Körperverletzungen. 47 Prozent machen sich Sorgen, dass bei ihnen eingebrochen werden könnte, nahezu ebenso viele, dass sie körperlich angegriffen werden könnten. Einbrüche sind dabei für viele keineswegs nur medienvermittelt, sondern oftmals eng verbunden mit Erfahrungen aus dem Nahbereich. Bei fast jedem Zehnten wurde bereits eingebrochen, bei 30 Prozent auch im Freundes- oder Bekanntenkreis. Weit verbreitet ist auch die Sorge, Opfer von Internetkriminalität, Betrug, Diebstahl oder Vandalismus zu werden.
Eine Deliktart, die in der jüngeren Vergangenheit immer stärker in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt ist, ist die Clankriminalität. Während in bundesweiten Untersuchungen eine große Mehrheit dieses Phänomen als großes Problem in Deutschland ausmacht, sehen das die Baden-Württemberger für ihr Bundesland deutlich entspannter: Nur knapp jeder Vierte empfindet kriminelle Großfamilien als ein großes Problem in Baden-Württemberg, 34 Prozent sehen dies ausdrücklich anders. Einer relativen Mehrheit (43 Prozent) fällt es schwer, ein eindeutiges Urteil zu fällen. Viele von ihnen kennen vermutlich Berichte über Clans, die in Berlin agieren. Mit Baden-Württemberg wird Clankriminalität bislang hingegen weit weniger in Verbindung gebracht.
Auch extremistische Tendenzen, sei es von rechts oder von links, werden von der Mehrheit nicht als großes Problem in Baden-Württemberg ausgemacht - und dies obgleich in der letzten Zeit eine breite öffentliche Diskussion über zunehmenden Rechtsextremismus in Deutschland stattgefunden hat. Nur 22 Prozent halten Rechtsextremismus derzeit in Baden-Württemberg für ein großes Problem. Jeder Zweite meint hingegen, dass rechtsextremistische Vorfälle im Land nur Ausnahmefälle sind. In Bezug auf den Linksextremismus fällt die Bilanz sehr ähnlich aus: Lediglich 18 Prozent haben den Eindruck, dass Linksextremismus in BadenWürttemberg aktuell ein großes Problem darstellt, knapp jeder Zweite hält Linksextremismus hingegen für ein Randphänomen.
Im Zusammenhang mit dem Thema Rassismus ist in letzter Zeit auch die Polizei häufiger mit dem Vorwurf konfrontiert worden, sie hätte ein Problem mit Rassismus in den eigenen Reihen. Diesem Vorwurf kann sich nur eine Minderheit in BadenWürttemberg anschließen: Nur 18 Prozent teilen die Auffassung, dass die Polizei in Baden-Württemberg ein internes Rassismusproblem hat, 42 Prozent sehen dies ausdrücklich anders.
Vorstellungen von einer wirksamen Verbrechensbekämpfung
Um die innere Sicherheit zu stärken, unterstützt die Bevölkerung eine Vielzahl von Maßnahmen. Sie fordert dabei insbesondere eine bessere Sach- und
Personalausstattung der Polizei, eine stärkere Präsenz der Polizei in der Öffentlichkeit und eine konsequentere Überwachung von öffentlichen Plätzen. Mehr als 90 Prozent wünschen sich eine bessere Sachausrüstung sowie eine personelle Aufstockung der Polizei. Weitere 89 Prozent fordern, dass die Polizei mit mehr Beamten in der Öffentlichkeit präsent ist, 82 Prozent, dass öffentliche Plätze verstärkt mit Videokameras überwacht werden. Mehr als zwei Drittel der Bürger unterstützen zudem Maßnahmen, die der Polizei und den Sicherheitsbehörden mehr Rechte einräumen. Ganz konkret wünschen sich zwei Drittel in diesem Zusammenhang, dass die technischen Voraussetzungen verbessert werden, damit bei dringendem Tatverdacht Telefonate, Chats und der Internetverkehr leichter überwacht werden können, jeder Zweite, dass der Datenschutz gelockert wird und Polizei und Sicherheitsbehörden ganz generell leichter auf Daten zugreifen können. Auch ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen und der verstärkte Einsatz der Bundeswehr im Inneren finden breite Unterstützung.
Wovon die große Mehrheit allerdings nichts hält, ist eine Schwächung des Gewaltmonopols des Staates. So sprechen sich drei Viertel gegen die Gründung privater Bürgerwehren aus, lediglich knapp jeder Vierte unterstützt eine solche Maßnahme. Innere Sicherheit ist nach Überzeugung der überwältigenden Mehrheit eine Aufgabe des Staates und die große Mehrheit plädiert hier auch für vermehrte Anstrengungen.
In Bezug auf die eigene Region ist die Mehrheit überzeugt, dass die personelle Ausstattung der Polizei unzureichend ist. Lediglich 18 Prozent haben den Eindruck, dass bei ihnen in der Region genügend Polizisten zur Verfügung stehen, während 52 Prozent hier Defizite sehen. Insbesondere die Bewohner des ländlichen Raums beklagen einen Mangel an Polizeibeamten vor Ort. Hier machen sich im Urteil der Bevölkerung sowohl der Eindruck eines allgemeinen Personalmangels bei der Polizei als auch die letzten Polizeireformen bemerkbar, die zu regionalen Umstrukturierungen geführt haben, von denen insbesondere der ländliche Raum betroffen war.
Vor dem Hintergrund des umfangreichen Forderungskatalogs zur Stärkung der inneren Sicherheit steht das Innenministerium aus Sicht der Bevölkerung auf diesem Gebiet vor großen Herausforderungen. 59 Prozent der Baden-Württemberger kritisieren, dass Innenminister Thomas Strobl zu wenig unternimmt, um die Polizei in Baden-Württemberg ausreichend auf die zukünftigen Herausforderungen bei der Verbrechensbekämpfung vorzubereiten. Lediglich 12 Prozent halten die Anstrengungen des Innenministeriums für ausreichend.
Eine aktuelle Entscheidung des Innenministeriums wird hingegen von einer breiten Mehrheit der Bürger im Land unterstützt: So halten es zwei Drittel für richtig, dass die Querdenker-Bewegung in Baden-Württemberg durch den Verfassungsschutz beobachtet wird. Lediglich 21 Prozent halten die Entscheidung für übertrieben.
Die Einschätzung der Sicherheitslage vor Ort deckt sich in großen Teilen mit der Kriminalitätsstatistik. So weist Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich seit Jahren eine der geringsten Kriminalitätsraten in Deutschland auf. Gleichzeitig sieht die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung auf vielen Feldern der inneren Sicherheit Handlungsbedarf des Staates. Dies betrifft sowohl die Ausstattung der Polizei mit mehr Personal und einer besseren Ausrüstung als auch viele Maßnahmen zur besseren Bekämpfung und Vorbeugung von Verbrechen. Gerade in diesen Bereichen ist ein Großteil der Bevölkerung seit Jahren bereit, auch solche Maßnahmen zu unterstützen, die in die persönlichen Freiheitsrechte der Bürger eingreifen. (GEA)