BERLIN. Vor den geplanten Beratungen von Bund und Ländern an diesem Sonntag gibt es immer mehr Forderungen nach einem schnellen Lockdown. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) warnte vor Kontrollverlust in der Corona-Pandemie und drängte zu schnellem Handeln noch vor Weihnachten.
»Das Infektionsgeschehen hat sich in den letzten drei Tagen dramatisch beschleunigt. Wir sind wieder in einer Phase exponentiellen Wachstums und sehen, dass die ersten Intensivstationen an ihre Kapazitätsgrenzen gelangen«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag).
Man könne auf gar keinen Fall bis nach Weihnachten warten, ehe man reagiere. »Wir müssen jetzt klären, wie es weitergeht. Sonst gerät der Pandemie-Verlauf vollständig außer Kontrolle«, sagte Altmaier.
Die Länderchefs wollen an diesem Sonntag (ab 10.00 Uhr) mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über schärfere Corona-Regeln beraten. Einige Länder haben bereits weitreichende Beschränkungen erlassen. In Sachsen zum Beispiel soll am Montag ein Lockdown beginnen. In Baden-Württemberg gilt bereits ab Samstag eine Ausgangsbeschränkung. Es gilt als relativ sicher, dass die Ministerpräsidenten einen Lockdown beschließen.
Unklar ist jedoch noch, wann dieser starten soll und was er genau umfasst. Laut »Bild«-Zeitung plädiert das Kanzleramt für Laden-, Schul- und Kitaschließungen ab dem kommenden Mittwoch. Sachsens Rebierungschef Michael Kretschmer plädierte zudem für eine gemeinsame Entscheidung gegen die Öffnung der deutschen Skigebiete. »Alles andere wäre angesichts der Zahlen inkonsequent«, sagte er dem »Spiegel«,
Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus bekräftigte seine Forderung nach scharfen Kontaktregeln für die Feiertage. »Ich war immer skeptisch gegenüber gelockerten Kontaktbeschränkungen an Weihnachten und Silvester. Die Lockerung auf zehn Personen ohne Kinder unter 14 Jahren sollte verworfen und die Treffen auf zwei Haushalte beschränkt werden - auch an den Feiertagen. Wir brauchen eine Kombination aus strengen Regeln und Eigenverantwortung.«
Zum derzeit angepeilten Ende eines möglichen harten Lockdowns sagte Brinkhaus: »Am Wochenende nach dem Dreikönigstag ist die Ferienzeit überall zu Ende und alle Betriebe fangen spätestens dann wieder im vollen Umfang an zu arbeiten. Ich glaube aber nicht, dass ab dem 10. Januar alles wieder so ist wie im September.«
Gleichzeitig appellierte Brinkhaus an die Kirchen, sich Alternativen zu Gottesdiensten zu überlegen. »Ich appelliere an die Einsicht der christlichen Kirchen, die kirchlichen Veranstaltungen so weit wie möglich zurückzufahren und nach Alternativen zu suchen, um die Gläubigen keinem Risiko auszusetzen. Gegebenenfalls muss da aber auch noch auf dem Verordnungsweg nachgesteuert werden«, sagte der CDU-Politiker der »Rheinischen Post« (Samstag).
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) äußerte Verständnis für ein mögliches Gesangsverbot an den Weihnachtsfeiertagen in Kirchen. »Der Liedgesang ist schon jetzt in vielen Bistümern ausgesetzt und wäre auch als allgemeines Verbot verständlich«, sagte der ZdK-Vorsitzende Thomas Sternberg dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag). Ein Verbot von Gottesdiensten hält er aber für unnötig. »Mit Abstandsgebot, Meldepflicht, Desinfektion und Rücksicht sind Gottesdienste geplant und möglich.«
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner pocht auf die Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei den geplanten neuen Maßnahmen. »Es wird nun zu einer Corona-Notbremse kommen, weil eine dauerhaft durchhaltbare Strategie noch fehlt«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Dabei darf aber nicht unverhältnismäßig scharf in Grundrechte eingegriffen werden.«
Lindner lehnte insbesondere Ausgangsbeschränkungen ab. »Pauschale und flächendeckende Ausgangssperren wie in Bayern sind unnötig und schießen über das Ziel hinaus. Vom Spaziergang der Mitglieder eines Hausstands oder vom Sport unter freiem Himmel geht kein Infektionsrisiko aus.« Lindner betonte: »Bund und Länder müssen in der Gefahrensituation Maß halten.« Davon hänge auch die Akzeptanz in der Bevölkerung ab.
Der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, forderte ein schnelles Ende des Präsenzunterrichts. »Wo es noch nicht geschehen ist, muss jetzt zügig auf Digital- und Distanzunterricht umgeschaltet werden«, sagte er der »Augsburger Allgemeinen« (Samstag). Zudem müssten die Ferien früher beginnen, außerdem brauche es schnell einen harten Lockdown mit strenger Einschränkung von Kontakten. »In den Schulen müssen wir sofort handeln, und der harte Lockdown sollte noch vor Weihnachten beginnen«, sagte Dobrindt.
Auch Städtetagspräsident Burkhard Jung (SPD) sprach sich für einen bundesweiten, einheitlichen und harten Lockdown vor Weihnachten aus. »Ein vollständiger Lockdown muss bundesweit gelten«, sagte der Leipziger Oberbürgermeister der »Rheinischen Post« (Samstag). »Es darf nicht passieren, dass der Einzelhandel im Land A geschlossen und im Land B geöffnet ist«, sagte Jung. »Und die Regeln müssen klar, verständlich und so einheitlich wie möglich sein. Denn die Menschen müssen sie gut nachvollziehen können.«
Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis forderte einen harten Lockdown bereits ab Montag: Ein vollständiger Lockdown ab dem 14. Dezember könnte zu einer baldigen Trendumkehr bei den Intensivkapazitäten führen, sagte der wissenschaftliche Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Neue Modellrechnungen der DIVI zeigten, »dass ein strenger Lockdown am Montag dazu führt, dass die Intensivbelegung bis kurz vor Weihnachten noch ansteigt, und dann kurz vor Heiligabend bereits erheblich abfällt«, so der Karagiannidis. »Jetzt runterfahren und im Januar wieder lockern.«
Patientenschützer dringen angesichts der steigenden Corona-Infektionszahlen auch auf bessere Sicherheitsgarantien für Pflegebedürftige. Für die Altenpflege sei ein Lockdown »kein Ersatz für bundesweit verbindliche Schutzvorkehrungen«, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. Alle Heime und Einrichtungen der ambulanten Pflege bräuchten unter anderem sicheren Infektionsgrundschutz, Corona-Tests zweimal pro Woche und tägliche Schnelltests. Es gelte, nicht nur über Weihnachten, sondern durch eine noch Monate dauernde Krise zu kommen. (dpa)