STUTTGART. Rund 3500 Menschen sind nach Schätzungen der Polizei größtenteils ohne Masken und Abstand zur Kundgebung der »Querdenken«-Bewegung auf den Cannstatter Wasen in Stuttgart geströmt, um gegen die Corona-Auflagen zu demonstrieren. Die Polizei war am Samstag seit dem Vormittag mit Hunderten Beamten an verschiedenen Orten in der Innenstadt im Einsatz, weil zehn teilweise unterschiedliche Kundgebungen angemeldet waren. Die baden-württembergische Polizei wurde dabei unterstützt von der Bundespolizei und von Polizisten aus Nordrhein-Westfalen und Hessen. Während des Aufzuges kam es zu erheblichen Verkehrsbehinderungen.
»Querdenken«-Gründer Michael Ballweg teilte in einer Mail am Nachmittag mit, aus einer zuverlässigen, anonymen Zuschrift gehe hervor, 100 gewaltbereite Hooligans würden versuchen, sich in die Demo einzuschleusen. Nach Angaben der Stuttgarter Polizei wurden am Mittag vor dem Stuttgarter Rathaus 20 Menschen, die mutmaßlich dem Rockermilieu angehören, kontrolliert. Es seien Quarzhandschuhe, pyrotechnische Gegenstände und Sturmhauben beschlagnahmt worden. Dabei sei eine Polizeibeamtin leicht verletzt worden. Die Betroffenen erhielten Platzverweise.
Wenig später sei ein pyrotechnischer Gegenstand in einen Aufzug geworfen worden, verletzt worden sei dabei niemand, teilte die Polizei mit. Ein Tatverdächtiger sei kontrolliert worden. »Der Polizei liegt ein Video vor, wonach mutmaßlich ein Journalist offenbar von einem Aufzugsteilnehmer geschlagen wurde. Die Ermittlungen hierzu dauern an«, hieß es in einer Pressemitteilung. Gegen den Leiter der Versammlung, die am Vormittag am Marienplatz begonnen hatte, wird laut Polizei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Außerdem versuchten teilweise vermummte Gegendemonstranten, den Zug zum Cannstatter Wasen zu hindern. Sie standen mit Fahrrädern oder saßen auf der Bundesstraße 14. Die Polizei löste die Menge auf.
Die Behörden waren zunächst von 2500 Teilnehmern in Stuttgart-Bad Cannstatt ausgegangen, die Anmelder von 6000. Die »Querdenken«-Bewegung und ihre Mitstreiter sprechen sich gegen die derzeitigen Corona-Maßnahmen aus. Die Bewegung wird vom Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet.
Auf die Frage, ob Menschen, die auf dem Weg zum Wasen waren, Masken trugen, sagte der Stuttgarter Polizeisprecher Stefan Keilbach: »Ich sehe hier 20 Leute mit Masken, und das sind Polizisten.« Die Hygiene-Auflagen wurden laut Polizei größtenteils nicht eingehalten. Polizeihubschrauber waren zur Dokumentation des Geschehens über dem Stadtgebiet im Einsatz. In einem Tweet der Polizei hieß es: »Masken- und Abstandsverstöße werden von uns beweissicher dokumentiert.« Ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur berichtete von einer Volksfeststimmung bei den Teilnehmern.
Die Stadt Stuttgart hat im Falle von Verstößen gegen die Maskenpflicht und die vorgeschriebenen Abstände angekündigt, Versammlungen aufzulösen. Der Sprecher der Stadt Stuttgart, Sven Matis, twitterte am Samstag: »Wir sind hellwach.«
Abermals mit Unverständnis reagierte das Landesgesundheitsministerium auf die Demonstranten der »Querdenker«-Szene im Stuttgarter Stadtgebiet. »Ich verstehe nicht, dass die Stadt sich sehenden Auges in diese Situation manövriert hat«, sagte Ministerialdirektor Uwe Lahl am Samstag. Sowohl schriftlich als auch in einem persönlichen Telefonat habe er dem Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Clemens Maier die Möglichkeiten aufgezeigt, die die Corona-Verordnung des Landes auch für ein Verbot von Großdemonstrationen hergebe.
Die Stadt habe sich dann gegen ein Verbot entschieden. »Das war aus infektiologischer Sicht in dieser Phase der Pandemie falsch«, sagte Lahl. Wie solle man der Bevölkerung erklären, dass sich an den Osterfeiertagen nur fünf Menschen aus zwei Haushalten treffen dürften, während Tausende Demonstranten ohne Maske und ohne Mindestabstand durch die Stadt zögen. »Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, aber in einer Pandemie gibt es auch dafür Grenzen«, sagte Lahl.
Im vergangenen Sommer hatten auf dem Wasen bis zu 10 000 Menschen demonstriert. Zuletzt hatte am 20. März eine Demonstration in Kassel mit mehr als 20 000 Menschen für Schlagzeilen gesorgt - erlaubt waren nur 6000. Es kam zu teils gewalttätigen Auseinandersetzungen. (dpa)