BERLIN. Weniger Reisen, weniger Stromverbrauch, die Industrie teils runtergefahren: Als Folge der Corona-Krise hat Deutschland Experten zufolge das Klimaschutz-Ziel für das Jahr 2020 nicht nur geschafft, sondern sogar übertroffen.
Der Treibhausgas-Ausstoß habe 42,3 Prozent unter dem Wert von 1990 gelegen, ergab eine Analyse der Denkfabrik Agora Energiewende die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Das eigentlich von der Politik längst abgeschriebene Ziel für 2020 sah 40 Prozent weniger Emissionen als 1990 vor.
Den Berechnungen zufolge gingen die Emissionen um über 80 Millionen Tonnen CO2 zurück auf rund 722 Millionen Tonnen. Zwei Drittel dieser Minderung seien eine Folge der Corona-Pandemie, ohne sie hätte der Rückgang nur bei etwa 25 Millionen Tonnen gelegen - und das 2020-Ziel wäre verfehlt worden. Dann wäre der Analyse zufolge der CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 nur um 37,8 Prozent zurückgegangen.
Wegen der Pandemie ist der Energieverbrauch im vergangenen Jahr deutlich gesunken. Dazu kamen relativ hohe CO2-Preise in der EU, die vor allem die klimaschädliche Stromproduktion aus Kohle verteuern, sowie niedrige Gaspreise und ein milder Winter, in dem nicht so viel geheizt wurde. 2020 wurde der Agora-Analyse zufolge erstmals in Deutschland mehr Strom aus Windkraft produziert als aus Kohle, Windräder auf See und an Land waren damit der größte Stromproduzent.
Bundesumweltministerin: Erfolg auch Ergebnis der Politik
»Echte Klimaschutzeffekte hat es 2020 nur im Stromsektor gegeben«, erklärte der Direktor von Agora Energiewende, Patrick Graichen. »Verkehr und Industrie werden wieder mehr Treibhausgase ausstoßen, sobald die Wirtschaft wieder anzieht.« Für 2021 rechne er wieder mit mehr Emissionen. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future sagte der dpa: »Nichts an diesen Reduktionen ist nachhaltig oder Grund sich zurückzulehnen.« Es brauche in den nächsten Monaten Entscheidungen, »die uns tatsächlich vor der Klimakrise schützen«.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze verwies darauf, dass die Fortschritte auch eine Folge politischer Entscheidungen seien. »Die CO2-Emissionen gehen nun schon im dritten Jahr in Folge deutlich runter«, sagte die SPD-Politikerin. »Diese positive Entwicklung beim Klimaschutz ist nicht vom Himmel gefallen.« Deutschland und Europa hätten Klimaschutz »nicht vergessen, sondern ihn sogar verstärkt.« Der CO2-Preis der EU wirke. Beim Ausbau von Wind- und Sonnenstrom gelte es, »das Tempo jetzt schnell zu erhöhen«, sagte Schulze. Das forderte am Montag auch der Energieverband BDEW.
Die schwarz-rote Koalition will im ersten Quartal dieses Jahres die Ausbauziele für erneuerbare Energien erhöhen, darauf dringt vor allem die SPD. Bisher liegt das Ziel bei 65 Prozent Ökostrom bis 2030. »Es gibt keinen Grund, sich auszuruhen«, mahnte deren Fraktionsvize Matthias Miersch, vor allem in den Bereichen Verkehr und Wohnen sei viel zu tun. Entscheidend sei, nicht nur die Ökostrom-Ausbauziele zu erhöhen, sondern »Verbindlichkeit und Tempo bei Genehmigungen und Verfahren hier und jetzt« zu schaffen.
Mehr Wind-Energie
Erneuerbare Energien lieferten der Analyse zufolge 46,2 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms, 3,8 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr und so viel wie nie zuvor. Ohne Corona und die dadurch um 3,6 Prozent gesunkene Stromnachfrage hätte der Anteil Erneuerbarer Energien im Jahr 2020 nur bei 44,6 Prozent gelegen, hieß es.
Insgesamt viel Wind und eine gestiegene Windkraft-Produktion auf See, also durch Windparks im Meer, seien für zwei Drittel des Ökostrom-Anstiegs verantwortlich, ein Drittel gehe auf das Konto von Solaranlagen. Der Ausbau vor allem von Windrädern an Land, aber auch von Solaranlagen reiche noch bei weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele für 2030 zu erreichen, mahnte Agora-Chef Graichen.
Bisher liegt dieses Ziel bei 55 Prozent weniger CO2-Ausstoß als 1990. Allerdings haben die EU-Staaten im Dezember beschlossen, das EU-weite Ziel von 40 auf 55 Prozent Minderung zu verschärfen - das dürfte auch für Deutschland Folgen haben. Agora Energiewende etwa rechnet damit, dass die CO2-Preise für die Energieproduktion weiter steigen und Stein- und Braunkohlekraftwerke weiter unter Druck setzen. (dpa)