Marwa Tina steht auf der anderen Seite. Die gebürtige Palästinenserin studiert zwar schon seit zwei Jahren in Stuttgart, doch ihre maximale Dauer im Wohnheim für internationale Studierende ist abgelaufen. Seit drei Monaten schickt Tina jeden Tag zehn bis 15 Anfragen an Wohngemeinschaften. Die frustrierende Bilanz: Nur drei Besichtigungen und keine feste Bleibe. Die 34-Jährige hangelt sich von Zwischenmiete zu Zwischenmiete, in drei Monaten lebte sie in drei verschiedenen Zimmern.
Die Landeshauptstadt gehört zu den härtesten Pflastern für Wohnungssuchende. Im bundesweiten »Anspannungsindex« des Moses Mendelssohn Instituts steht Stuttgart in diesem Jahr auf Platz 3 und schob sich damit vor Köln und Frankfurt am Main. Die Studie des Instituts entstand in Kooperation mit dem Internetportal Wg-Gesucht und bezog Faktoren wie Preisniveau, Nachfragesituation und Leerstandsquote mit ein.
Auch in anderen Studentenstädten ist die Lage angespannt. Das baden-württembergische Wissenschaftsministerium stockt die Plätze in Studentenwohnheimen zwar auf, doch das geht - im Verhältnis zur Nachfrage - langsam voran. Ende 2014 standen im Land 32 800 Plätze zur Verfügung. Bis Ende 2017 sollen 1300 weitere hinzukommen, die teilweise schon im Bau sind. Die bestehenden Wohnheime quellen über vor Anfragen. In Heidelberg kommen auf 1205 freie Plätze zum Semesterbeginn bis Ende September über 4700 Anfragen. In Tübingen stehen derzeit noch mehr als 1300 Bewerber auf der Warteliste, in Stuttgart sogar knapp 3800. Bis zu acht Monate müssen die Studenten an manchen Standorten nach ihrer Bewerbung warten, bis sie einziehen können.
»Ohne Kontakte geht gar nichts«, meint Tina. Viele private Vermieter würden Studierende, die Wohngemeinschaften gründen wollten, direkt abweisen und Familien oder Paare bevorzugen. Andere Inserate seien einfach zu teuer für ein studentisches Budget. »Die Stadt braucht mehr bezahlbare Wohnungen. Es muss Regulierungen geben, damit Menschen wie ich die Chance auf eine Wohnung bekommen.«
Um private Vermieter zu mobilisieren, fährt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) auch in diesem Jahr die Kampagne »Studis suchen Zimmer«, die mit Plakaten, Flyern und Bäckertüten auf das Problem aufmerksam machen soll. Viele Studierendenwerke haben auf ihren Internetseiten Suchmaschinen für Privatzimmer und Wohngemeinschaften integriert. Bei Anfragen wie »WG-Zimmer in Heidelberg, für maximal 350 bis 400 Euro, frei ab Oktober 2017« lautet die aktuelle Antwort dort jedoch: »0 Treffer.«
Wenn es zum ersten Vorlesungstag hart auf hart kommt, bleibt nur noch der große Schlafsaal: Viele Studierendenwerke stellen in den ersten Semesterwochen Notunterkünfte bereit. »Wir bieten so viele Plätze an, dass jeder unterkommt. Bei uns muss keiner auf der Straße schlafen«, heißt es beim Studierendenwerk Freiburg von Renate Heyberger. In Stuttgart, Tübingen und Hohenheim finden dort bei Bedarf rund zehn Wohnungssuchende Platz, in Heidelberg stehen sogar bis zu 30 Betten bereit. Auf ein solches will Marwa Tina möglichst verzichten. Die Studentin sagt: »Ich habe alles versucht. Zur Not stehe ich bald bei Freunden auf der Matte.«
Teurer Südwesten - Wo Studenten am meisten für Wohnraum zahlen müssen
Studierende in Baden-Württemberg müssen für ihre Zimmer und Wohnungen tiefer in die Tasche greifen als den meisten anderen Regionen der Republik. Fünf der zehn teuersten Hochschulstandorte liegen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zufolge in Baden-Württemberg. In Freiburg und Karlsruhe zahlt man durchschnittlich 13 Euro pro Quadratmeter in einer Ein-Zimmer-Wohnung oder Wohngemeinschaft, in Stuttgart sind es 12,50 Euro. Konstanz und Tübingen liegen mit 12,20 Euro nur knapp dahinter, wie die Gewerkschaft Mitte September bekannt gab. Der Bundesdurchschnitt liegt mit 7,41 Euro pro Quadratmeter deutlich darunter.Zimmer in Studierendenwohnheimen sind zwar meist günstiger als privater Wohnraum, doch dort sind die Wartezeiten für einen Platz mitunter lang. In Freiburg kann das Warten laut Studierendenwerk bis zu acht Monaten dauern, in Tübingen und Hohenheim immerhin zwei bis sechs Monate. (dpa)