WACKEN. Den Auftritt »irgendwo auf dem Dorf« hat sein Vater vermittelt. »So klein das auch war, so professionell war 1990 bereits alles organisiert«, erinnert sich Marco Schultz an seinen Auftritt mit 20 Jahren auf dem Lande. »Da merkte man: Die meinen das ernst.«
Mit seiner Kieler Band Sacred Season hatte der Musiker schon auf größeren Open-Air-Festivals in Norddeutschland wie Jübek und Walsbüll gespielt. Nun also gemeinsam mit fünf anderen norddeutschen Bands Wacken. Am 24. und 25. August 1990 feierten 800 Heavy-Metal-Fans das erste Mal in dem kleinen Ort in Schleswig-Holstein. »Das war ein kleines, aber geiles Festival«, sagt Schultz.
Zwei Jahre nach Gründung machte das Wacken Open Air (W:O:A) den ersten Schritt zum Groß-Event. Mitbegründer Thomas Jensen nahm bei einer örtlichen Bank einen Kredit über 25.000 Mark auf, um die angesagte Metal-Band Saxon zu locken. »Die ersten Jahre haben wir zugepackt«, sagt er. Ende der Neunziger meldeten die Veranstalter Konkurs an. Doch es ging immer weiter.
Ende Juli zieht es die Heavy-Metal-Szene regelmäßig ins sonst beschauliche Wacken. Durch die Straßen ziehende Metal-Fans (Metalheads) und die berühmte Finger-Geste (»Pommesgabel«) gehören dann fest zum Ortsbild. Genauso wie lange Schlangen vor dem Bäcker und die überfüllten Wiesen neben den beiden Riesenbühnen. 1996 sorgten die Böhsen Onkelz für den ersten Riesenstau, erinnert sich Jensen. 1997 trat Lemmy Kilmister mit seiner Band Motörhead das erste Mal hier auf. »Motörhead ist die Band, die alles auf den Punkt bringt, wofür Wacken steht«, sagt Jensen. Das Festival wurde in der Folge immer größer und ist seit Jahren ausverkauft. Es gibt eine lange Warteliste.
»Wacken bedeutet für viele nach Hause kommen«, sagt Jensen. Aus dem Ort mit gut 2000 Einwohnern machen die Metalheads im Sommer eine Stadt mit rund 100.000 Menschen. Die 75.000 Tickets für dieses Jahr waren binnen 21 Stunden vergriffen, doch wegen der Corona-Pandemie musste die 31. Ausgabe des Festivals auf 2021 verschoben werden. Als Ersatz gibt es vom 29. Juli bis 1. August das Streaming-Festival Wacken World Wide. Die Veranstalter sind auf Kurzarbeit, wollen das Jahr durchstehen. Mehr als 90 Prozent der Besucher haben ihre Karten für den kommenden Sommer umgetauscht.
Doch es gibt auch Gegner, die über die Entwicklung des Festivals nicht glücklich sind. »Es gibt schon Wackener, die nicht böse sind, dass es ausfällt«, sagt Bürgermeister Axel Kunkel. Offiziellen Gegenwind, beispielsweise in den Gemeinderatssitzungen, gebe es aber nicht. »Die überwältigende Mehrheit steht dahinter.«
»Unser Festival wird nicht konsumiert«, sagt Jensen. »Der Fan gestaltet ganz viel selbst.« Die ersten Jahre stand Jensen mit seiner Band selbst auf der Bühne. Der Zeitpunkt des Festivals sei keineswegs ideal: »Die norddeutsche Tiefebene im August ist nicht die Zeit, wo internationale Künstler hier unbedingt rumturnen.« Deshalb hätten sie sich stets ein besonders Programm einfallen lassen müssen.
Vor Jahren kehrten auch Sacred Season zurück. Eigentlich habe er 2014 per Mail nur nach einer Karte für das ausverkaufte Festival gefragt, sagt Gitarrist und Sänger Schultz. Keine zehn Minuten später kam die Antwort von Festival-Mitbegründer Holger Hübner mit der Frage: »Wollt ihr nicht lieber spielen?« Er sagte spontan zu.
In den 1990er Jahren hatten Sacred Season fast 300 Konzerte gegeben, einen Plattenvertrag und einen Fernsehauftritt. Zur 25. Auflage in Wacken standen sie seit Jahren erstmals wieder gemeinsam auf der Bühne. Hatten die vier Bandmitglieder 1990 noch 200 D-Mark für ihren Auftritt bekommen, spielten sie nun für lau. »Wir haben sogar finanziell zugesetzt«, sagt Schultz. Sein Bassist wohnt jetzt im Süden und flog extra ein, das Keyboard krachte vom Ständer und der Hals von Schultz' Lieblingsgitarre verzog sich nach dem Gig hitzebedingt im Kofferraum. Dafür stand der Bandname im Gegensatz zum ersten Auftritt 1990 dieses Mal nun richtig auf dem Plakat.
Das frühe Wacken habe er fast vergessen, sagt Schultz. »Wenn nicht ab und zu Leute danach fragen würden, wäre das eins von vielen kleineren Festivals, die man mal gespielt hat.« Dagegen sei das heutige Festival »ein Meilenstein« in der Erinnerung. »Das kann man nicht toppen.« Alles sei perfekt organisiert gewesen. Sogar der Soundcheck sei ihnen abgenommen worden. »Wir klangen vom ersten Song an wie auf Platte.« Zum anschließenden Treffen hätten Fans sogar CDs der Band mitgebracht. »Man fühlte sich für eine halbe Stunde wie ein Star.«
Festivalmacher Jensen arbeitet an den Stars der nächsten Jahre. Der 54-Jährige hofft, dass irgendwann die US-Band Metallica kommt. »Metallica sind ja immer für eine Überraschung gut.« Sie hätten früher auch nie zu träumen gewagt, dass Iron Maiden in Wacken spielen. »Der Running Gag ist nach wie vor auch Manowar.« Andere Größen wie Judas Priest, Ozzy Osbourne oder Rammstein waren längst da - immer nach dem Wacken-Motto »Harder, faster, louder« oder wie Jensen es formuliert: »Das muss auch ein bisschen knallen!« (dpa)
© dpa-infocom, dpa:200723-99-893012/3