TÜBINGEN. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer wird nach Ungarn reisen und im Budapester Mathias-Corvinus-Collegium (MCC) auftreten - einer Bildungseinrichtung, die eng mit der Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban verbunden ist.
Palmer werde auf Einladung des Deutsch-Ungarischen Instituts, das zum MCC gehört, einen Vortrag halten und an einer anschließenden Diskussion teilnehmen, bestätigte die Pressestelle der Stadt Tübingen am Montag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Palmer reise vom 5. bis zum 7. September nach Ungarn und der Vortrag sei ein Programmpunkt.
»Anbiederung bei der äußersten Rechten«
Die Pläne Palmers lösten heftige Reaktionen aus. Nicolas Fink, Fraktionsvize und europapolitischer Sprecher der Landtags-SPD warf Palmer »Anbiederung bei der äußersten Rechten und Versuche der Spaltung« vor. Dies sei das letzte, was Europa in diesen Tagen brauche, sagte Fink. »Wir müssen gemeinsam Lösungen anbieten, und zwar als Gemeinschaft, die auch eine Wertegemeinschaft ist. Zu diesen Werten gehören Menschlichkeit und Solidarität untereinander. Und wer diese Werte mit Füßen tritt, nur um sich zu profilieren, erweist nicht nur Europa, sondern auch der kommunalen Familie einen Bärendienst.« Mit einem Auftritt bei dem »rechtsreaktionären Thinktank« diskreditiere der Tübinger Oberbürgermeister auch berechtigte Sorgen aus den Kommunen. »Ein No-Go«, sagte Fink.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte: »Da Boris Palmer seit einigen Monaten parteilos ist, sucht er womöglich neuen parteipolitischen Anschluss. Die ungarische Fidesz von Viktor Orban könnte durchaus das Rennen machen.« Die Grünen, bei denen Palmer früher Mitglied war, wollten sich nicht äußern.
Austausch zwischen Stadt Tübingen und Uni
Am Nachmittag teilte die Stadtverwaltung Tübingen mit, dass das Deutsch-Ungarische Institut und das Mathias-Corvinus-Collegium Palmer eingeladen hätten, einen Vortrag in Budapest zu halten. »Dazu hat sich die Stadtverwaltung mit der Eberhard Karls Universität Tübingen ausgetauscht. Beide wissen, dass das Institut Orban-nah ist. Gleichzeitig sehen sowohl Stadtverwaltung als auch Universität, dass das hochrangige Institut eine wichtige Schnittstelle zwischen deutscher und ungarischer Wirtschaft ist und die Veranstaltung die Möglichkeit bietet, die Meinungsfreiheit zu nutzen und den Diskurs zu wagen.«
Das MCC hatte den Auftritt Palmers und seinen Vortrag mit dem Titel »Über die grüne Grenze« am 5. September bereits vorige Woche angekündigt. Die Stadt Tübingen teilte mit, bei der Reise sei die offizielle Bestätigung der Partnerschaft des Tübinger Stadtteils Unterjesingen mit der Gemeinde Iklad geplant. »Auf Einladung des Deutsch-Ungarischen Instituts und des Mathias-Corvinus-Collegiums hält Oberbürgermeister Palmer einen Vortrag in Budapest und steht für Diskussion zur Verfügung«, hieß es von der Stadt. Der Termin sei seit langer Zeit geplant.
Regierungschef Orban fährt eine aggressive Asylpolitik, die Metallzäune an den Grenzen, die Nichtanerkennung von Asylgründen und widerrechtliche Rückschiebungen vor allem nach Serbien einschließt. Der Europäische Gerichtshof hat Ungarn deshalb mehrfach verurteilt.
Was ist das MCC?
Das MCC gilt als Kaderschmiede der Regierung des Rechtspopulisten Orban. Die Bildungseinrichtung und Denkfabrik importiert unter anderen Ideen ultra-rechter Publizisten aus den USA, deren Schriften es in ungarischer Übersetzung veröffentlicht. Zugleich arbeitet es an der internationalen Vernetzung rechts-konservativer und ultra-rechter Aktivisten und Bewegungen. Vorsitzender des Stiftungsrat des MCC ist Balazs Orban, der - mit dem Regierungschef nicht verwandte - politische Direktor des Ministerpräsidentenamtes. Stiftungsrat und Führungsspitze des MCC sind mit handverlesenen Orban-Loyalisten besetzt. (dpa)