TÜBINGEN. Einen gefährlichen Messerangriff auf Passanten und Polizisten in der Tübinger Innenstadt muss es in der vergangenen Nacht gegeben haben - das glauben zumindest viele, die ein Facebook-Posting von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer vom Freitagvormittag gelesen haben. Bei der Polizei und auch in der GEA-Redaktion meldeten sich in der Folge beunruhigte Bürger. Denn das Stadtoberhaupt beschreibt dramatische Szenen, die sich in der Mühlstraße abgespielt haben sollen. Palmer stellte später zumindest zunächst in der Kommentar-Sektion seines Postings klar, dass das Geschehene bereits mehrere Wochen zurückliege. Nachmittags wurde er in einem weiteren Facebook-Beitrag präziser, dass der Vorfall bereits Anfang November passiert sei.
Boris Palmer postet ein Foto auf Facebook als Beweis
Weil bezweifelt wird, dass seine Schilderungen so wirklich stattgefunden habe, postete Palmer als Beweis »ein Foto der Tatnacht«. Er habe Berichte des als Zeuge beteiligten Busfahrers und des »mutigen Mannes mit Migrationshintergrund, der den Angreifer überwältigt hat, vorliegen.« Zudem sei der Sachverhalt auch nicht neu. »Ich habe davon in Anwesenheit der Presse und des Tübinger Polizeichefs im Gemeinderat berichtet.« Demnach soll ein Mann in der Buslinie 11/12 beim Befahren der Mühlstraße in Richtung Wilhelmstraße auf einen anderen Mann eingeschlagen haben. Höhe der Abzweigung Österberg habe der Busfahrer dann angehalten und die Türen geöffnet, damit der Angegriffene fliehen konnte.
Auf der Straße soll der Angreifer dann ein Messer gezückt und versucht haben, mehrfach auf sein Opfer einzustechen - was misslang. »Dann kam eine größere Gruppe und streckte den Täter mit einem Faustschlag nieder«, schreibt Palmer. Den Männern soll es daraufhin gelungen sein, den ausrastenden Mann auf den Boden zu bringen und im Polizeigriff zu fixieren - bis die Polizei eintraf. Daraufhin soll der Täter die Polizisten mit dem Messer attackiert haben. »Nach Aussagen der mutigen Männer war der Angreifer mit hoher Wahrscheinlichkeit Afghane«, so Palmer.
Das Polizeipräsidium Reutlingen bestätigte auf GEA-Anfrage einen Vorfall in der Tübinger Mühlstraße. Allerdings habe sich dieser bereits am 17. Oktober zugetragen, sagte ein Polizeisprecher. Und er sei weit weniger dramatisch gewesen als es Palmer schildert. Um kurz nach 22 Uhr sei der Polizei an diesem Tag eine Auseinandersetzung in einem Bus gemeldet worden. »Es gab einen Anfangsverdacht, dass ein Beteiligter ein Messer habe.« Der Angreifer habe zunächst versucht, eine Frau zu schlagen. Nach dem Verlassen des Busses in der Mühlstraße sei dieser von Zeugen überwältigt worden und bis zum Eintreffer der Polizei festgehalten worden. Bis dahin decken sich die Schilderungen von Palmer und der Polizei weitestgehend. Auch, dass der Angreifer afghanischer Staatsangehöriger sei, bestätigte die Polizei.
Polizei findet keinen Messerangriff in den Akten
Für den weiteren Verlauf unterscheiden sie sich die Beschreibungen des Vorfalls jedoch deutlich. »Es wurde kein Messer gefunden«, sagt der Polizei-Sprecher. »Auch Polizisten wurden nicht angegriffen.« Stattdessen seien dem Täter direkt Handschellen angelegt worden. Zudem wurde der Mann medizinisch versorgt, weil er sich bei der Fixierung am Boden leicht verletzt hatte. Er wurde wegen versuchter Körperverletzung angezeigt. Einen ähnlichen Vorfall wie den von Palmer beschriebenen gut zwei Wochen später sei nicht in den Akten zu finden, so der Polizei-Sprecher.
Tübingens Oberbürgermeister hält an den Aussagen aus seinem ursprünglichen Facebook-Posting auch nach einer GEA-Anfrage fest: »Der Angriff ist passiert«. Aber warum geht der Palmer damit erst jetzt an die Öffentlichkeit? Da die Medien bislang nicht darüber berichtet haben, sei es ihm ein Anliegen, den Zeugen für ihr Einschreiten zu danken, lässt er über die Pressestelle der Stadt ausrichten. »Ich halte es für wichtig, dass der Eindruck, hier werde etwas verheimlicht, widerlegt wird«, schreibt Palmer auf Facebook. »Und ich will meine Dankbarkeit für die mutigen Männer ausdrücken, die Schlimmeres verhindert haben. Auch der geistesgegenwärtige Busfahrer hat dem jungen Paar wahrscheinlich Verletzungen erspart. Das sind Formen der Zivilcourage, die hoch gewürdigt werden müssen.« (GEA)